Dienstag, 3. Februar 2015
Neues aus Osthausen. Ich melde mich aus der Versenkung für ein kurzes Update:
Hallo 2015! Den Jahreswechsel haben wir WG-übergreifend erstmalig hier in Görlitz gefeiert und dabei möglichst nicht daran gedacht, dass wir nächstes Silvester alle wieder in verschiedene Himmelsrichtungen verstreut sein werden. Nach zweieinhalb Jahren, die ich hier schon lebe, bringt 2015 die Bachelorarbeit und den Abschluss mit sich. Aber eins nach dem anderen; erstmal das fünfte Semester zu Ende bringen. Da bin ich gerade bei, aktuell stehen die Prüfungen an, eine letzte Hausarbeit wartet noch auf ihrer Abgabe (im Kopf quasi schon fertig, auf dem Papier quasi schon angefangen) und ab nächsten Mittwoch habe ich dann Ferien, bevor es ab März in die Schlussphase des Studiums geht. Vorsätze für 2015? Streitbarer und weniger konfliktscheu werden, Studium beenden, Haare wachsen lassen.

Wie war das zurückliegende halbe Jahr? Hochschultechnisch gesehen so entspannt wie noch nie (Stundenplan: Dienstag bis Donnerstag von 10h bis 14h, darf man auch keinem erzählen). Praktikumstechnisch so belastend wie noch nie: Ausgehend von dem Gedanken der ‚Persönlichen Assistenz‘, einem Konzept, dass den Menschen mit Lebenserschwernis zum Arbeitgeber der Fachkraft macht, um das Machtgefälle umzukehren, weg von Fremdbestimmung hin zu Selbstbestimmung, galt es, die Praxisstunden bei Einzelpersonen, gern auch unabhängig von Institutionen, abzuleisten. Was theoretisch nach einer interessanten und erfahrbaren Chance für ein neues Professionalitätsverständnis klingt, war in meinem Fall ernüchternd, da ich, völlig unvorbereitet und weitestgehend auf mich allein gestellt, mit einer Person mit tiefgehenden Depressionen und psychischen Schwierigkeiten zusammengearbeitet habe.
Von Zusammenarbeit zu sprechen ist an dieser Stelle auch zu viel gesagt, viel mehr habe ich die ältere Dame regelmäßig besucht, mit ihr gespielt, ihren Hund ausgeführt und ihr zugehört. Zugehört, wie sie, sich ständig wiederholend, gedanklich ständig um dasselbe Thema, ein ungelöster familiärer Konflikt, kreist, zu dessen Lösung sie ihrer Meinung nach aber nichts beitragen muss. Zugesehen, wie sie ihre Wohnung nicht verlässt und fast völlig isoliert ein Dasein fristet, mit dem sie verständlicherweise unzufrieden und unglücklich ist, sie aber im gleichen Zug immer ihre ‚Krankheit‘ über alles stellt, sodass sich nichts verändern wird. Gemerkt, dass ihre unendliche Dankbarkeit, wenn ich sie besuche, sich zu einer Abhängigkeit entwickelt, aus der Angst heraus, dass ich gehe und nicht wieder komme. In ihrer eigenen Lebenswelt gefangen ohne jeglichen Bezug nach außen, gepaart mit ihrer Vergesslichkeit, weiß sie nicht, welcher Tag es ist und, obwohl es im Kalender steht, vergisst, welchen neuen Termin wir ausgemacht haben; die Folge sind regelmäßig anklagende und leidende Nachrichten auf meiner Mailbox mit der Frage, wann ich denn wiederkomme.
Nach einer ersten Phase von Überforderung und Hilflosigkeit meinerseits, gefolgt von einer Phase der inneren Ungeduld im Umgang mit ihr, hat mir ein Gespräch mit ihrem Psychologen geholfen, eine andere Sicht auf die Dinge zu entwickeln: Da-Sein ist manchmal schon Hilfe genug, darüber hinaus kann ich nur immer wieder versuchen, ihren düsteren Gedankenkreis zu durchbrechen, indem ich andere Sichtweisen aufzeige und durch Äußerungen Reibungspunkte schaffe, die dazu führen, dass sie sich über ihr Leid hinaus mit mir und anderen Themen auseinandersetzt. Den Abstieg vom Gedankenkarussell muss letztendlich sie schaffen. So viel zur Konflikterprobung.
Beispiel: Wenn ich mit ihrem Hund rausgehe, geschieht das nicht, ohne dass sie mir vorher zahlreiche Anweisungen gibt, um mich dann vom Fenster aus zu beobachten und mir anschließend Vorhaltungen zu machen, was ich falsch gemacht habe. Ich, nicht unbedingt Hundefreund und erst recht kein Hundekenner, aber durchaus der Meinung, dass zehn Minuten Auslauf am Tag (wenn überhaupt) für einen Hund egal welcher Größe viel zu wenig sind, und es deshalb unfair ist, sich einen Hund anzuschaffen, wenn man selbst die Wohnung nicht verlässt, biete ihr an, dass sie das nächste Mal gerne mitkommen kann oder sie mir ansonsten eben vertrauen muss, dass ich ihr Ein und Alles keinen größeren Gefahren aussetze (nicht schnüffeln lassen, nicht auf die Wiese, nicht mit anderen Hunden in Kontakt kommen lassen, bei Schnee, Regen oder Kälte eh nicht raus usw.).
Ihrerseits eine Mischung aus Abhängigkeit von mir und ein Stück weit Penetranz, Stolz, Rechthaberei sowie dem Wunsch, wenigstens in einigen Lebensbereichen nicht völlig die Kontrolle zu verlieren; meinerseits eine Mischung aus Mitleid, Hilflosigkeit, weniger werdenden Sympathie und der Tendenz, mich von ihrer lebensverneinenden Stimmung vereinnahmen zu lassen.
Alles in allem eine Beziehung, die mir an die Substanz geht, sodass ich nichts anderes sagen kann, als dass ich mich freue, wenn in zwei Wochen das Semester und somit auch dieses Assistenzverhältnis beendet ist. So viel dazu.

Arbeit: Läuft nach wie vor gut, mal werde ich mehr, mal weniger gebraucht. Letztens durfte ich auf einer Belegschaftsversammlung hautnah miterleben, wie das so ist, wenn die Mitarbeiter von ganz oben (in diesem Fall durch die Diözesandirektorin) behutsam und höchst professionell darauf vorbereitet werden, dass demnächst Personalkürzungen und Lohnsenkungen als notwendige Folgen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage anstehen. Das war interessant, betrifft mich aber nicht wirklich, da ich mir nicht vorstellen kann, dauerhaft dort zu arbeiten, denn ich möchte nicht von Frust und Routine verschluckt werden.

Ansonsten: Nicht weit entfernt vom Pegida-Zentrum Dresden, finde ich es, unabhängig von allem Für und Wider, erschreckend, wie schnell es geht und wie wenig es braucht, dass sich Menschen nicht mehr zuhören, sondern stattdessen anfeinden, beschimpfen, teilweise bekämpfen. Unterstützt wird/ wurde dies meiner Meinung nicht unwesentlich durch Mediendarstellungen, die dieses Thema mit allem Drum und Dran bis zum geht nicht mehr in alle Richtungen ausgeschlachtet haben, sodass sich die Fronten nur noch verhärteten.
Grundsätzlich finde ich es gut, wenn Menschen auf die Straße gehen und sich mit Dingen beschäftigen, die weitergehen als ihr jeweiliger Lebensradius. Wenn deshalb aber die wirklich gravierenden Probleme, ich denke hier beispielsweise an die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen oder die Situation in der Ukraine, in den Köpfen und in den Medien kaum noch Beachtung finden, kommt das allein denjenigen zugute, die in diesen Bereichen ihre Interessen durchsetzen wollen. Auch während für viele Menschen über einige Wochen hinweg Pegida das Thema Nr. 1 war, hat sich die Welt trotzdem weitergedreht. Das über all die künstliche Aufregung zu vergessen, ist gefährlich.

Zum Schluss: Meine Herzensangelegenheit, derjenige welche, ist nach einem kurzen Intermezzo im Westen schon etwas länger wieder hier und befindet sich gerade im Endspurt seiner Masterarbeit. Auch wenn dieser Umstand gerade wenig Zeit für uns übrig lässt, ist näher trotzdem immer besser und deshalb in dieser Hinsicht alles gut.

Bis zum nächsten Mal.


Quasi(e)
eres erschöpfende Auskunft.
Bussi und Wauwow,
mein liebes unermüdliches Straßen?mädchen noch in Görlitz
Schneegrüße mit Mondschein von
Deiner
ML
#schneegida
schau einmal rein...