Montag, 23.07.2012 – Abschied
Ihr wisst gar nicht, wie schwer es mir fällt, dieses eine letzte Mal hier für euch und für mich zu schreiben. Es ist soweit, mein Au Pair-Jahr in Island ist vorbei und ich finde keine Worte. Dabei gäbe es doch noch so viel zu erzählen, zu berichten, zu schreiben. Dinge, von denen ich mir fest vorgenommen hatte, sie aufzuschreiben, einige angefangene Texte warten noch immer darauf, online gestellt zu werden, so viele Erlebnisse, Gedanken, Eindrücke habe ich noch nicht in Worte gefasst. Aber ich muss ja auch nicht alles aufschreiben, will es auch nicht, denn dann hätte ich das Gefühl, schon endgültig mit diesem Jahr abgeschlossen zu haben.

Dieses Jahr, das bei Weitem nicht immer leicht war, oft schwerer, als ich es im Vorhinein erwartet habe. Trotz allem war es mein Jahr. Mein Jahr, mit Höhen und Tiefen, schönen Momenten, weniger schönen Momenten, anstrengenden Momenten. All diese Momente waren einmalig und fügen sich zusammen zu einem Jahr, in dem ich mich selbst besser kennen gelernt habe und an meinen Aufgaben gewachsen bin. Ich weiß nicht, was mir mehr zu denken geben wird beim Heimkommen - der Satz „Du hast dich gar nicht verändert“ oder „Du hast dich völlig verändert“. Wenn ich heute an die ersten Wochen und Monate hier zurück denke und meine ersten Blogeinträge lese, kommt mir diese Zeit sehr weit weg vor und ich merke selber, dass ich mich verändert habe. Nicht viel und vielleicht nicht nach außen hin sichtbar, nicht auf den ersten Blick, aber doch ein wenig.

Ich bin froh, dieses Jahr hier verbracht zu haben, in Island, diesem wunderbaren Land, das ich noch längst nicht vollständig kennen gelernt habe. Ich bin froh, in der Familie gewesen zu sein, in der ich war. Ich weiß, ich habe nicht immer in den höchsten Tönen von ihnen gesprochen und ja, ich habe oft die Zähne zusammen beißen müssen - was habe ich manchmal innerlich geflucht - aber dennoch war es „meine“ Familie und dafür bin ich dankbar, ihnen allen – Eysteinn, Rakel, Sóley, Íris, Jón, Margrét Jóna und Erna Steina. Ich hatte eine gute Zeit. Wir hatten eine gute Zeit.

Ich habe einfach genau das richtige Jahr erwischt: Die Zwillinge im richtigen Alter, sodass ich quasi mit ihnen sprechen lernen konnte, außerdem schon im Kindergarten, wodurch ich glücklicherweise freie Vormittage und das Haus für mich hatte. Dann Jón, noch nicht in der Schule, also auch keine Hausaufgabendiskussionen. Ich glaube, das könnte noch richtig zum Problem werden, vermutlich nicht gleich, aber doch ziemlich bald, wenn die Erstklässereinschulungseuphorie verflgen und er sich wieder auf seine seiner Meinung nach wahre Mission konzentriert: Die Zwillinge in seine Fußstapfen treten zu lassen, sie zu kleinen Jóns zu machen, ebenso launisch, bestimmend, verwöhnt und rechthaberisch, aber dann manchmal auch so, dass man sie einfach nur lieb haben muss. Und wenn er sie schon nicht zu exakten Ebenbildern machen kann, dann doch wenigstens zu Jungs, mit denen man raufen, sich streiten, schubsen und Fußball spielen kann. Was soll ich sagen, die Zwillinge machen Jón ernsthaft Konkurrenz, setzen ihre Fähigkeit, noch auf Knopfruck losheulen zu können, mittlerweile gezielt und raffiniert ein, um genau das zu bekommen, was sie wollen, sodass sich zur Zeit vermehrt dramatische und nahezu bühnenreife Szenen in diesem Haushalt abspielen. Ja, es ist anstrengend. Und laut.
Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich und die Oma vermutlich nicht ganz unschuldig daran sind, da wir vor zwei Wochen - ist das wirklich erst zwei Wochen her? - mit ihnen zum Friseur gegangen sind, wo es einen kleinen Unfall gab. Nein, Unfall kann man es eigentlich nicht nennen, Unaufmerksamkeit ist besser. Wir haben die Friseuse, eine Freundin der Familie, einfach machen lassen, wieso auch nicht, und das Resultat waren dann zwei Mädchen mit sehr kurzen Haaren. Ich kann das natürlich nur befürworten, ich finde es steht ihnen und praktisch ist es allemal. Íris hat sie ausgelacht, die Eltern waren schockiert, besonders Rakel, angesichts des Verlustes der Haarpracht der Zwillinge. Ich schätze, das war das letzte Mal, dass die Oma mit ihnen zum Haareschneiden gegangen ist.

O ha, ich schweife ab. Aber seht ihr, das war eine Sache, an der ich euch noch dran teilhaben lassen wollte. Den Rest bekommt ihr dann erzählt und zwar persönlich, vermutlich werdet ihr euch gar nicht retten können vor Sätzen, die so anfangen: „Also als ich in Island war...“.

Aber wovon war die Rede? Warum ich genau das richtige Jahr erwischt habe. Der wichtigste Grund: Weil die Familie noch in Ólafsvík wohnt, am Meer, und noch nicht wieder nach Keflavík gezogen ist. Sie haben mir mehrmals ihr altes Haus gezeigt, in das sie, so bald Eysteinns Job es zulässt, wieder einziehen. Ich bin froh, dass ich nicht dort gewohnt habe, grau in grau, sondern in Ólafsvík, auf Snæfellsnes, in unserm Haus mit Blick aufs Meer und auf die Berge. Und ich bin sehr froh, dass ich nicht mit ihnen umziehen musste. Ein Umzug mit dem ganzen Kram, den sie haben, das ist wirklich kein Vergnügen.
Habe ich euch erzählt, dass ich in der letzten Woche in Ólafsvík das gesamte Spielzeug der Kinder sortieren durfte? Ich habe in einem verzweifelten Kraftakt - eigentlich hätte ich mit dem Packen meiner Sachen genug zu tun gehabt - zunächst alles nach unten in Sóleys Zimmer verfrachtet und dann dort sortiert, zwei Vormittage lang. Am Schluss waren es dann zehn große Kisten und ein fast voller schwarzer Müllsack. Von dem Müllsack weiß Eysteinn nichts, er war ja in der Zeit arbeiten, aber die Kinder wissen ohnehin nicht, was sie alles besessen haben, werden also nichts vermissen, und selbst wenn Eysteinn davon wüsste, wäre er mir vermutlich dankbar. Ich kann verstehen, dass ihm der ganze Krempel und die vor Spielzeug überquellenden Kinderzimmer stören, mich hat es ja von Anfang an gestört, aber wieso muss ihm das ausgerechnet in der letzten Woche einfallen, in der ich vor Packen und Kinder hüten, da der Kindergarten schon zu hatte, ohnehin nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand? Das war wohl sein Abschiedsgeschenk an mich.

Apropos Abschiedsgeschenk: Gestern war ja mein letztes Abendessen mit der Familie - „last supper“, wie Eysteinn es formuliert hat, ich weiß ich nicht, ob er mit Absicht auf die Henkersmahlzeit angespielt hat - es gab Hühnchen made by Oma, was ich sehr liebe, denn wenn Eysteinns Mutter Hühnchen macht, gibt es nicht nur eins, nicht zwei, sondern gleich drei, dazu einen riesengroßen bunten Salat, mindestens zwei verschieden Sorten Reis und Soße. Es war köstlich, aber wirklich genießen konnte ich es vor Kindergeschrei und Sólev füttern nicht.
Anschließend hat Eysteinns Vater eine kleine Ansprache gehalten und mir dafür gedankt, dass ich das Jahr über so gut zu seinen Kindern und Enkelkindern war. Die Großeltern haben mir einen Island-Fotoband geschenkt, mit persönlicher Widmung, den werde ich mir in Ruhe anschauen.
Ich glaube, ich werde Eysteinns Eltern, Afi Jón und Amma Magga, mehr vermissen als den Rest, auch wenn ich manchmal etwas ungeduldig mit ihnen war. Magga, die mich wie ein weiteres Enkelkind behandelt hat, mir immer was Gutes tun wollte und mir ständig versichert hat, was für eine „hardworking woman“ ich doch sei, während sie noch durchs Haus wirbelt, wenn ich völlig erschöpft in den Sessel sinke. Und Jón, der mir ständig Fotos gezeigt, Geschichten erzählt hat, über Island, über alles, der so sichtbar stolz ist auf seinen Sohn und seine Enkelkinder.
Von Rakel und Eysteinn habe ich ein T-Shirt bekommen, es ist schön, aber als sie es mir überreicht haben, bin ich schon ziemlich rot geworden, das war mir schon ein fast zu persönliches Geschenk. Im Nachhinein hätte ich vielleicht den Fotokalender, dessen Erstellung mich etliche Nerven gekostet hat, den Großeltern und den „Island von oben“-Film den Eltern schenken sollten. Aber ich weiß, dass der Opa gerne Filme schaut, und immer offen ist, noch mehr über sein Land zu erfahren, mehr davon zu sehen, als er ohnehin schon weiß, und vielleicht bewirkt der Kalender ja, dass das nächste Au Pair nicht ganz so oft von spontanen Aktionen überrascht wird.

So, mein letzter Blogeintrag neigt sich dem Ende entgegen. Bald, in ein paar Stunden, kommst du, liebe Anna Laura, dann ist mein Dasein als Au Pair vorbei und unsere Fast-Islandrundreise kann losgehen, endlich! Ich freue freue freue mich! Hier grob unsere Route für die, die es wissen wollen: Reykjavík, Skógar, Höfn, Egilsstaðir, Akureyri, Hveravellir, Reykjavík.
Von Akureyri aus machen wir den Rundflug, das wird ein einmaliges Erlebnis. Überhaupt, die ganzen zehn Tage werden einmalig, einfach, weil wir uns wieder haben und Urlaub ist.

Ich habe ein Jahr lang hauptsächlich an andere gedacht, mich um andere gekümmert. Das habe ich gerne getan und ich habe mein Bestes gegeben, aber jetzt ist es Zeit, mal wieder an mich zu denken, das wird wunderbar.

Gleich packe ich endgültig meine Koffer, ein ganzes Jahr auf zwei Koffer verteilt, dazu noch eine Extratasche für Schuhe, ohne ging es wirklich nicht. Ich werde schweren Herzens packen, vielleicht mit Tränen in den Augen, und dann wird Eysteinn mich zum Flughafen fahren. Schluss.

Ich werde mich noch oft zurück erinnern an dieses Jahr, mit einem Lächeln auf den Lippen und Sehnsucht im Herzen.

Ich kann mich ganz genau an die schöne Zeit erinnern, hab sie mit meiner Seele fotografiert. Ich schließ die Augen und das ganze Land begann uns hinterher zu winken, und ich weiß ein Teil von mir bleibt hier.

Ich bin dankbar, dass ich dieses Jahr erleben durfte und ich werde vieles vermissen, aber ich freue mich auch auf das Neue, was immer das auch sein wird, denn es wird Zeit. Studium, aber was und wo? Mal sehen. Aus Neubrandenburg habe ich schon eine Zusage, aber das ist eher nicht mein Favorit, abwarten. Darum kümmere ich mich später. Jetzt warten erstmal zehn Tage Freiheit auf mich, auf uns!

Ich möchte mich bei euch allen bedanken, die ihr mich das Jahr über begleitet habt, auf welche Weise auch immer. Mit Gedanken, geschrieben Worten, Gesprächen, Paketen und Päckchen - Post zu bekommen ist das Beste, fast so gut wie Mittagsschlaf - danke dafür!

Ich freue mich, dass ihr mitgelesen habt, hoffe, dass ihr Freude daran hattet und freue mich auf August und aufs Wiedersehen!

Abschied heißt, was Neues kommt, denn anderswo gibt’s ein Hallo.

Bless, Ísland, takk fyrir allt!
Ich komme wieder.


ABGESANG
Aber nicht sang~und klanglos. Fast eine Abschiedshymne.
Ich bin sososo stolz auf dich, wunderbare Power-Island-Ester(°!*)
Eine wunderbare Schwestern-Island-Zeit.
Ich habe euch von Herzen lieb und bin mit dem Herzen immer wieder mal bei euch.
Jetzt die wichtigste Frage:
Rechts oder Linksherum?
Wie zirkelt ihr den "golden circle"?
Ich suche gleich die Karte heraus und folge mit dem Finger
Ihr süssen Dinger
Bis donn in Bonn
ML

Und wo steckst Du jetzt? Was machst Du und wie geht es Dir?