Sonntag, 01.07.2012
Jetzt aber. Endlich endlich bringe ich euch auf den neuesten Stand, ich weiß ja, wie sehr ihr nach meinen Worten giert. Eigentlich wollte ich schon lange wieder geschrieben haben, aber es passiert zu viel, die Zeit vergeht zu schnell, es passiert zu viel in zu kurzer Zeit. Ich bin schon wieder voll im Alltag drin, das hat keinen Tag gedauert, dabei ist Mama noch nicht einmal seit anderthalb Wochen weg. Das Urlaubsgefühl ist leider völlig verschwunden und das wird sich auch nicht so schnell wieder einstellen, denn am kommenden Freitag geht es erst für eine Woche nach Keflavík zu den Großeltern während Rakel und Eysteinn Urlaub in einem Gesundheitshotel machen - ob man da wirklich von Urlaub sprechen kann? - und danach noch für eine Woche in ein Sommerhaus in Selvík. Ich glaube, danach habe ich endgültig genug von der Familie, sodass mir der Abschied nicht allzu schwer fallen wird - besonders nicht mit der Aussicht auf die Rundreise mit meinem Schwesterherz.
Dennoch: Am Freitag heißt es für mich Abschied nehmen von Ólafsvík, das ja doch für fast ein Jahr mein Zuhause war, Abschied nehmen von unserm Haus, von unserer Terrasse, von unserer grandiosen Esstisch-Aussicht, von den Bergen, vom Meer. Das ist schon ein seltsames Gefühl, kann ich euch sagen, und immer öfter höre ich mich selber denken: Nein, ich will hier nicht weg, ich will nicht. Vielleicht hängt es nur damit zusammen, dass ich bis Freitag alles alles geordnet, gepackt und aussortiert haben muss, aber ich jetzt, wo ich einmal am Meer gewohnt habe, wird es schwer sein, wenn es nicht mehr quasi direkt vor der Haustür liegt. Also, wenn mich jemand in 50 Jahren mal suchen sollte, tue er dies am Besten am Meer, vielleicht sogar an der isländischen Küste, wer weiß.
Ich denke im Moment oft in letzten Malen: Heute ist zum Beispiel der letzte Sonntag hier. Beim letzten Basketballtraining war ich schon vor Ewigkeiten, ich weiß nicht mehr genau, wann. Heute habe ich mir das letzte Mal hier Nammi gekauft, ich habe das letzte Mal mit Sóley einen Spaziergang durch Ólafsvík gemacht und mit Mama zusammen war ich das letzte Mal in den niedlichen Café in Hellnar und das letzte Mal hier wandern. Und gerade im Moment blogge ich das letzte Mal von Ólafsvík aus. Hach, merkt ihr? Ich werde sentimental. Aber natürlich hat es auch seine guten Seiten: Ich bin offiziell keine Putzfrau mehr, in Mamas ersten Woche hier habe ich jedes fremde Haus zum letzten Mal geputzt und unseres werde ich auch nur noch ein letztes Mal putzen - das wird ein grandioses Gefühl! Mein Nichtmehrputzfrau-Dasein ist sehr luxuriös, denn letzte Woche Montag, Dienstag und Mittwoch habe ich mich, nachdem die Kinder aus dem Haus waren, völlig ohne Schuldgefühle wieder ins Bett legen können, um noch ein Ründchen zu schlafen - kann es etwas Besseres geben? Damit ist nun aber leider schon wieder Schluss, wie gesagt, ich fürchte, dass ich meine restlichen freien Vormittage - es sind ja nur noch drei - hier mit Packen zubringen werde, in aller Ruhe. Aber damit fange ich erst morgen, Montag, an, jetzt noch nicht, dazu bin ich viel zu müde.
Das Wochenende war sehr anstrengend und die zurückliegende Woche auch, denn es war die Meisterschaft vom Golfclub hier, sodass Rakel und Eysteinn nichts anderes im Kopf hatten. Tage, an denen ich die Zwillinge nicht ins Bett bringe, sind momentan eher selten. Was für Rakel und Eysteinn eine Befriedigung ihrer Sucht (Zitat Eysteinn) war, war für mich eine Doppelbelastung, besonders, da Véronica mich nicht unterstützen konnte, weil sie im Hotel, es gehört ihren Eltern, mithelfen musste. Obwohl dieses Wochenende mein Sóley-Wochenende gewesen wäre, habe ich die meiste Zeit mit den Zwillinge verbracht, während Íris und Freundin mit Sóley drinnen waren. Ich bin froh, dass das Wochenende vorbei ist, ich bin total erledigt, da Sóley die letzte Nacht mit in meinen Bett geschlafen hat, weil Rakels Großvater, ja, richtig gehört, er lebt noch und ist ursprünglich von Snæfellsnes, war aber schon lange nicht mehr hier, zu Besuch war.
Heute ist Rakel mit Íris und Jón schon nach Keflavík gefahren, die letzten paar Tage sind nur Eysteinn, die Zwillinge, Sóley und ich hier, das klingt doch eher entspannt. Dann kann ich mich innerlich schonmal für eine Woche Kinder nonstop wappnen, in denen sie ihre Schreihalsfähigkeiten wiedererlangen werden, die ich ihnen, wenn ich mit ihnen alleine bin, erfolgreich ausgetrieben haben. Aber ich weiß, was mich in Keflavík erwarten wird: Die Großeltern, die froh sind, ihre Enkel wieder um sich zu haben, die Großeltern mit ihrer Engelsgeduld, angesichts derer ich nichts anderes tun kann als aggressiv zu werden. Ich kann es mir bildlich vorstellen: „Ach, Liebes, warum weinst du denn? Wegen gar nichts, wie immer? Oder einfach, weil du Lust hast, zu heulen, was das Zeug hält? Komm her, komm auf meinen Arm, ist ja gut, Oma tröstet dich.“ Oder: „Also nein, Kinder, nicht mit dem Essen werfen, das macht man nicht. Oh nein, jetzt weinst du schon wieder? Willst du was anders essen?“ Grrrrrrr. Na ja, vielleicht wird es ja noch einigermaßen erträglich. Ich glaub nicht dran. Ich fahre mit meiner momentanen „Hör auf zu weinen, sonst leg ich dich ins Bett und mach die Zimmertür zu, anscheinend bist du ja müde“-Schiene recht gut, aber die Kinder sind ja nicht dumm, ich, die strenge Ester, werde nur akzeptiert, wenn wirklich niemand anderes da ist, ansonsten wird geschrien. Nur noch drei Wochen. Nur noch drei Wochen. Nur noch drei Wochen.
So, bevor ich endgültig anfange, Trübsal zu blasen, berichte ich noch kurz von Mamas Besuch hier, dann geh ich ins Bett, insofern Eysteinn dann wieder vom Golfplatz da ist. Nichtmal mein Sonntagabend ist mir vergönnt, seht ihr? Na ja, ist nicht meine Schuld, wenn meine Hygiene unter meiner Müdigkeit zu leiden hat, sprich: Ich lieber schlafen gehe anstatt noch zu duschen.
Ich war übrigens nicht komplett faul die letzte Woche, ich habe einen ganzen Haufen neuer Fotos reingestellt und sie sogar sortiert, datiert und kommentiert, o ja. Und deshalb jetzt auch völlig undatiert der Urlaubsbericht. Zuallererst: Es war wundervoll!
Am ersten Wochenende, das Mama hier war, waren wir hier um den Gletscher rum unterwegs, haben aber auch eine Wahnsinnswanderung von Ólafsvík aus gemacht. Nun ja, anstrengend war sie nicht gerade, einfach nur lang, was aber wohl eher an der langen Döspause lag. Warum auch nicht? War ja Urlaub! In der darauffolgenden Woche war ich noch putzen, da konnten wir uns wieder voneinander erholen. Mama hat ein paar halsbrecherische und lebensgefährliche Klettertouren hingelegt, wohl eher unfreiwillig, und ich war nur froh, wenn abends die Rückmeldung kam, dass sie wieder heile im Apartment angekommen ist. Am Mittwochabend stand dann das gemeinsame Abendessen mit der Familie und Rakels Fischsuppe auf dem Plan, natürlich vorzüglich, um weitere gemeinsame Essen konnten wir uns dann aber drum rum drücken.
Dann, am Freitagnachmittag, hieß es für mich: Endlich endlich Urlaub, eine ganze herrliche Woche lang! Samstagmorgen haben wir uns aufgemacht, nach Stykkishólmur, von da aus mit der Fähre zu den Westfjorden. Dort erwiesen sich die Straßen als nicht so gut wie hier, kurz gesagt: Schotterpisten, den Großteil des Weges. Aber der kleine feine Mietwagen hat gut mitgemacht und uns sicher zu unserem Hostel gebracht - und was für ein süßes kleines Hostel! Und was für ein süßer alter Hostelbetreiber! Direkt am Ende eines Fjords gelegen, mitten im Grünen, am Fuße der Berge, mit einer wunderbaren Aussicht. Obwohl wir zwei Betten in einem Mehrbettzimmer gebucht haben, quartiert uns Páll, ein herzensguter Mensch, für den selben Preis in ein Zimmer nur für uns ein. Unser Zimmer ist fliederfarben, super sauber und mit Blick auf die Berge. Der gemütliche Gemeinschaftsraum besteht aus zwei abgeschabten Ledersofas und einem kleinen Fernseher, die Selbstversorgerküche ist bestens ausgestattet und jeder räumt hinter sich auf, einfach, weil das ganze Haus so sauber ist. Wir fühlen uns sofort wie zu Hause, was vor allem an Páll liegt, dem Betreiber, dessen Frau noch in Reykjavík ist, weshalb er den Laden alleine schmeißt, und er schmeißt ihn gut, noch ist ja nicht so viel los.
Vom Hostel aus haben wir in den drei Tagen die Gegend erkundet, sind nie sehr weit gefahren, wir wollen ja nicht die ganze Zeit im Auto sitzen bei dem Wetter. Genau, das Wetter: Es war traumhaft, die ganze Zeit, in der Mama hier war. Vielleicht ein, zwei bedeckte Tage, ein paar Regentropfen, ansonsten: Sonne Sonne Sonne. Wir waren einmal in Ísafjörður, einmal Kayak fahren auf „unserem“ Fjord und danach hat uns der Kayaklehrer noch mit zu Freunden genommen, die in den Sommermonaten eine Eiderentenfarm betreiben. Das war sehr interessant und aufschlussreich und die Dame des Hauses bittet uns, zu verbreiten, dass sie die Federn der Enten keinesfalls brutal abreißen, so wie manche Umweltorganisation das manchmal darstelle, sondern lediglich jeden Tag an jedem Nest die losen Federn einsammeln - eine Heidenarbeit, die sich nicht wirklich rentiert. Aber immerhin konnten sie von den Gewinnen ihr Sommerhaus bauen, in dem es zwar keinen Strom gibt, aber dafür eine Kochmaschine wie im Hof Peters, auf dem sie köstliche Pfannkuchen für uns zubereitet.
Ansonsten setzt sich unser Urlaub daraus zusammen: Ein Stück fahren, ein Stück wandern, ins Gras legen, in der Sonne dösen, aufs Meer schauen, lesen, sich treiben lassen. Mehr brauchen wir nicht, mehr wollen wir nicht. Abends dann im Sonnenlicht auf der Terrasse essen, die neu gekommenen Gäste begutachten, eine Flasche Wein dazu. Mehr brauchen wir nicht, mehr wollen wir nicht.
Am letzten Abend laden wir Páll ein, mit uns zu essen, woraufhin er uns am nächsten Morgen ein herrschaftliches Frühstück serviert, leider ein bisschen früh, aber nein sagen wir natürlich nicht. Danach müssen wir schon wieder nach Ólafsvík aufbrechen, wo wir aber noch einen wunderbar sonnigen Mittwoch erleben, den längsten Tag des Jahres, uns zieht es wieder zu dem Café nach Hellnar und später zum Sonnenunter- und Aufgangschauen, wobei wir aber nur bis zum Untergang durchhalten und dann doch lieber etwas schlafen.
Am Donnerstag machen wir nur noch das Apartment sauber, Mama packt, ich auch, dann macht sie sich auf zum Flughafen.
Das alles und noch viel mehr haben wir erlebt, ich will nicht alles aufschreiben, ich behalte es lieber im Kopf, ihr könnt euch aber gerne die Fotos anschauen.
Liebe Mama, ich danke dir für unsere schöne Zeit mit dir, die viel zu schnell verging! Bald sehen wir uns wieder, aber nicht in Island und nicht im Urlaub, dann ist es anders. Ich bin froh, dass du hier warst!
Und für dich, liebe Oma Anna: Lesen kannst du meine Worte nicht mehr, aber vielleicht erreichen sie dich ja doch irgendwie, das wäre schön. Ich weiß, dass du es jetzt gut hast, leicht, frei und unbeschwert, so, wie es sich jeder wünscht. Du weißt, wir denken an dich, unsere liebevollen Gedanken tragen und begleiten dich, so weit wie sie können, bevor du ihnen davon fliegst, federleicht. Frei. Unbeschwert.
Ich hätte dir im August gerne von Island erzählt, dann hätte ich gesagt, dass es eigentlich immer wunderschön war, egal, was ich geschrieben habe, denn wenn man zurückblickt, ist auch das Unangenehme schön.
Aber das muss nun eben warten, auf eine andere Zeit, auf einen anderen Ort, auf unser Wiedersehen.
Bis bald, Ester.
ewalter am 04.Jul 12
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Jau,
Besser geht nicht.
Danke dafür und jetzt schaue ich noch Photos,
die Wäsche muß warten,
kann sie auch,
tut sie auch
und ich auch
auf Deine Wiederkehr
E.