Mittwoch, 06.06.2012
Hab ich euch eigentlich schon von unserer ESC-Party erzählt? Wann war das Finale nochmal? Genau, am 26., dem Samstag vor Pfingsten. Rakels Eltern waren da, sowie ihre Tante und ihr Neffe. Sie kamen Samstagabend an, dann gab es erstmal Spaghetti für alle, das war eine ziemlich hektische Angelegenheit, weil man ja um Punkt 19 Uhr vor dem Fernseher sitzen wollte. So ernüchternd der Abend auch für uns war - besonders die Punktevergabe hat unser Herz bluten lassen, nachdem uns vorher schon die Ohren wegen so manchen Beitrags geblutet haben - fand ich ihn gar nicht so schlecht, denn immerhin wurde wieder großartig aufgetischt: Schokolade, Chips, Snacks, Weintrauben, Erdbeeren, Fanta, Cola, Sprite. Natürlich habe ich mitgelitten, als sich heraus kristallisierte, dass Island nicht, wie von uns hoffnungsfroh angenommen, unter den besten zehn landete, aber ich habe auch mitgegessen. Vermutlich war das der Sinn des Süßigkeiten-Buffets: Vorsorgliche Frustertränkung. Am Ende war Island dann auf Platz 20, was mal wieder zeigt, dass die Punktevergabe nicht viel mit der Qualität des Liedes zu tun hat, sondern mehr mit der Anzahl der Nachbarländer. Tja, und wenn man dann eben eine Insel ist... Ich möchte jetzt nicht mehr weiter darüber reden, wirklich nicht.

Und habe ich euch eigentlich schon von Jóns „Útskrift“ aus dem Kindergarten erzählt? Das war am Donnerstag vor Pfingsten, also am 24. Mai. Was kann man sich darunter vorstellen? Es ist eine sehr putzige Angelegenheit, an der die Fast-Erstklässler entlassen werden. Das Wetter war nass und kalt, aber das hat niemanden daran gehindert, vor allem nicht die stolzen Eltern, trotzdem gut gelaunt zu sein, obwohl die Feier vorwiegend draußen stattfand. Zuerst gab es ein paar Liedchen, vorgetragen von allen Kindergartenkindern, wobei die meisten lieber in der Gegend rumgeguckt haben, als mitzusingen, aber das ist ja immer so. Applaus gab es natürlich trotzdem, auch wenn die Kinder, die rechts standen, viel schneller gesungen haben, als die, die links standen. Anschließend hat ein Vater oder ein Opa, vermutlich eher ein Opa, in Deutschland vermutlich eher ein Vater, dem Kindergarten zwei selbst gebaute Spielautos aus Holz überreicht. Noch mehr Applaus. Ich bin etwas neidisch, so tolle Spielautos hatte ich im Kindergarten nicht. Ich sehe es schon kommen, dass alle Kinder sich nur noch darum streiten werden.
Dann kam der Höhepunkt: Alle zukünftigen Erstklässler, also auch Jón, wurden auf einen Tisch gestellt, damit auch wirklich jeder sie sehen kann und jeder bekam einen gebastelten Doktorhut überreicht, dazu eine Urkunde und ein gerahmtes Bild, das das jeweilige Fast-Schulkind vorher selbst gemalt hatte. Jón ist jetzt also ein stolzer „Leikskóli Stúdent“, was aber nicht bedeutet, dass er nicht mehr in den Kindergarten geht. Wo denkt ihr hin?
Nach dieser ganzen Aufregung gab es dann Hot Dogs, Kuchen und Trinkpäckchen für alle. Habe ich schon erwähnt, dass ich Island liebe?

Und habe ich euch schon vom Sjómannadagurinn erzählt, dem Seemannstag? Der war ja, wie schon erwähnt, letzten Sonntag, am 3. Juni, aber der interessante Teil fand am Samstag statt, bei strahlendem Sonnenschein unten am Hafen. Wir allemann sind hingegangen - nicht vergessen, Eysteinns Freunde inklusive Ehefrauen und Kindern waren da, ich habe mir gar nicht die Mühe gemacht, zu verstehen, wer mit wem liiert ist und zu wem welche Kinder gehören. Ich habe mich nur um Sóley kümmern müssen, war ja mein Wochenende mit ihr, das war sehr angenehm. Es herrschte ausgelassene Volksfeststimmung: Hüpfburg und Kinderschminken, Süßigkeitenstand und Luftballons. Aber das wirklich Wichtige waren die Wettkämpfe, dort sind die Emotion so richtig hochgekocht: Beim Tauziehen und der Regatta – um nur einige zu nennen - wurde fleißig angefeuert und mitgefiebert, gejubelt und gestöhnt, Fotos folgen. Eysteinn und seine Freunde sind einmal beim Bootsrennen angetreten - haushoch verloren - und einmal beim Tauziehen - gewonnen, sich feiern lassen, sofort Video auf Facebook gestellt und im Laufe des Tages, besonders im Laufe des Abends immer wieder darauf zu sprechen bzw. zu grölen gekommen.

Genau, der Abend. Da haben sich Rakel und Eysteinn wieder eine Aktion vom Feinsten erlaubt. Immerhin weiß ich jetzt, dass es hier um halb vier in der Nacht immer noch taghell ist. Was war los? Ich bin nach dem Abendessen früh schlafen gegangen, ich hatte eigentlich keine andere Wahl. Überall Leute, nur in meinem Zimmer nicht, aber da war ja Sóley, schon schlafend. Da dachte ich mir, nutze ich die Gelegenheit doch mal für ausreichend Schlaf, zumal Sóley ja meistens schon gegen 7 Uhr morgens aufwacht.
Ich bin gerade am Eindösen, da klopft es an meiner Zimmertür. Ich muss zweimal hinhören, bis ich es wirklich als Klopfen einordnen kann, zum Einen, weil ich Kopfhörer auf habe, zum Anderen, weil ich nicht wahrhaben will, dass mich wirklich noch jemand stört: Eins von den Besuchskindern ist unten am Hafen, hat Bauchschmerzen und möchte gerne von der Mutter abgeholt werden, die aber leider nicht mehr fahren kann. Ob ich denn mal...? Natürlich. Also fahre ich in einem fremden Auto runter, um ein fremdes Kind abzuholen.
Sobald das erledigt ist, verschwinde ich ganz schnell wieder, bevor noch irgendjemand was von mir wollen kann. Mittlerweile wissen sie ja, dass ich schon halb am schlafen war, ich hatte nämlich kein Problem damit, in Schlafklamotten ins Auto zu steigen.
Aber nein, es klopft schon wieder, diesmal ist es Eysteinn: Man habe sich überlegt, dass man ja doch noch spontan zum Ball anlässlich des Seemannstages gehen könne. Ob ich denn nicht...? Was soll ich tun? Erst Frau und Kinder von Freund 1 runter zum Apartment fahren, damit die Frau sich aufhübschen und die Kinder ins Bett bringen kann. Dann zurück kommen, um die ganze Meute - Eysteinn, Rakel, Freund 1 und Frau, Freund 2 und Frau, Freund 3 ohne Frau - zum Gemeindehaus zu fahre, wo der Ball stattfindet. Dann auf die Kinder aufpassen - die Zwillinge schlafen schon, berichtet er mir stolz - und auf seinen Anruf warten, der kommt, wenn sie wieder abgeholt werden möchten.
Ihr könnt euch bestimmt denken, dass ich hellauf begeistert war. Ich habe es dann natürlich gemacht. Habe sie zum Gemeindehaus gefahren, das nur den Berg runter liegt, das schafft man zu Fuß locker in zehn Minuten, selbst im betrunkenen Zustand. Habe auf die Kinder aufgepasst, die mit Knabberkram und Bettdecken vor dem Fernseher platziert worden waren. Habe den Film ausgemacht, als alle der Reihe nach eingeschlafen waren. Habe versucht, selber auch ein bisschen zu schlafen, auf dem Sofa im Wohnzimmer, aber dort war es einfach zu hell. Habe sie wieder abgeholt, zum Glück waren sie alle recht bald sehr fertig mit der Welt, und ja, ich bin auf Eysteinns Bitte noch eine Extrarunde durch die „City“ gefahren, damit er sich singend aus dem Dachfenster lehnen kann. Und ja, ich habe mich am nächsten Morgen, nachdem ich mit Sóley nach oben gekommen bin, ungefragt auch um die Zwillinge gekümmert und Aspirin an alle verteilt, die auf Knien angekrochen danach gefreut haben. Nun ja, es war nur einer, Freund 3, aber ich habe mich schon einen kurzen Moment an der Macht erfreut, über seinen Katerkopfschmerz walten zu können.
Und ich kann es ja auch verstehen, dass Rakel und Eysteinn, wenn schon mal Freunde aus Keflavík da sind, auch Spaß haben wollen.
Aber was ich absolut nicht verstehen kann, ist, warum man mich nicht einfach ein paar Stunden vorher fragt bzw. mir Bescheid sagt, dass man eventuell vorhat, wegzugehen, und ob ich dann aufpassen könnte. Was ist daran so schwer? Ich würde bestimmt nicht nein sagen, das wissen sie. So eine Aktion muss einfach nicht sein, erst recht nicht, wenn dann am nächsten Tag noch nicht mal ein „Entschuldigung“ oder ein „Danke“ kommt - ein Handkuss im mehr als fragwürdigen besoffenen Zustand ist zwar amüsant, aber kann trotzdem nicht als „Danke“ gewertet werden, finde ich. Und das Extrageld auch nicht, denn das ist ja wohl selbstverständlich und das Letzte, um das es hier geht, ist Geld. Es hat einfach was mit Anstand zu tun, finde ich, und nicht zuletzt hat es etwas mit meinem geraubten Schlaf zu tun, der mir wertvoller ist als alles Geld der Welt. Genug Dramatik?

Und ebendiesen Schlaf muss ich immer noch nachholen, deshalb verabschiede ich mich auch vorerst wieder. Ich habe zwar heute schon ein ausgiebiges Mittagsschläfchen gemacht - hach, Mittagsschlaf ist das Größte! - aber ich möchte ja fit sein, wenn du ankommst, liebe Mama. Morgen fliegst du, übermorgen sehen wir uns, wo ist die ganze Zeit hin?

Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass Mama und ich für ein paar Tage hoch in die Westfjorde fahren? Genau hier hin:



Das wird wundervoll, ich freue mich!