Ich habe mich lange nichts mehr geschrieben, ich weiß, aber es gibt auch nicht viel Neues zu erzählen. Das Wichtigste zuerst: Aus Hannover kam eine Absage, war ja zu erwarten, deshalb war ich auch nicht weiter enttäuscht. Seit gestern habe ich einen neuen favorisierten Studiengang: Heilpädagogik. Ich will mich ja nicht zu sehr auf die Foto-Sache versteifen und halte deshalb immer die Augen offen nach Alternativen, die mich interessieren. Also könnt ihr damit rechnen, dass sich meine möglichen Studienrichtungen noch öfters ändern. Soviel dazu.
Welche Highlights habt ihr verpasst? Zuerst mal meinen Geburtstag. Vor zwei Wochen konnte ich sagen: „Ég á afmæli í dag!“. Seit zwei Wochen bin ich 20 Jahre. Alt. Der Tag an sich war eher entspannt und ungewohnt ruhig, da die Zwillinge am Vortag wegen Krankheit zu den Großeltern verfrachtet wurden - Rakel wollte vormittags nicht zu Hause bleiben müssen und ich ebenfalls nicht - und da Eysteinn sowieso nach Reykjavík musste, passte das ganz gut. Morgens gab es ein gesungenes Ständchen für mich, nachmittags einen kleinen Schokokuchen, gekauft, aber mit Smarties und Lollies, und abends Pommes und Pizza. Vormittags war ich wie gewohnt Putzen, danach habe ich in aller Ruhe meine Geschenke ausgepackt, die die Post bis dato schon gebracht hatte. Das waren zwar nicht sehr viele, aber gefreut habe ich mich trotzdem, natürlich auch über die verspätete Geburtstagspost. Danke an alle, die so lieb an mich gedacht haben!
Mein Geburtstagsessen - ihr erinnert euch, Lachs, dazu noch Süßkartoffeln, Pommes und Salat - gab es dann am Samstag. In aller Ruhe, erst, als die Zwillinge im Bett waren. In aller Ruhe - das war jedenfalls der Plan. Geplant hatten wir allerdings ohne Jón, der es natürlich nicht lassen konnte, eine Szene zu machen. In seiner grenzenlosen Fantasie hat er gemeint, gehört zu haben, dass Rakel ihm gesagt hat, dass sie ihn nicht beim Essen dabei haben will. Das bildet er sich öfters ein, aber diesmal war seine Darbietung noch dramatischer als sonst, vermutlich lag es daran, dass jemand anderes als er im Mittelpunkt stand. Ganz ernst nehmen konnten wir ihn nicht - dem Weißwein sei Dank - was ihn wiederum fuchsteufelswild gemacht hat. Rakel musste ihn mehrmals, schon fast auf Knien, zurück an den Tisch bitten und selbst dann kam er nur schmollend und hat sein Essen kaum angerührt. Besser als Kino - und das nur anlässlich meines Geburtstags!
Nach dem vorzüglichen Essen konnte ich mich sogar um das obligatorische Gesellschaftsspiel herumdrücken, das bei den üblichen Gelegenheiten - Weihnachten, Silvester, Geburtstage - mehr aus Pflichtgefühl als aus Lust herausgekramt wird. Vor dem Essen hatten wir uns schon ein bisschen warm gespielt, das sah dann ungefähr so aus: Rakel stellt die Begriffe, die sie erklären muss, ausschließlich pantomimisch dar, obwohl reden durchaus erlaubt ist. Íris weist sie darauf hin, Rakel ist und bleibt aber fest davon überzeugt, dass nur, aber auch wirklich nur Pantomime genutzt werden darf, und macht, wenn Íris am Zug ist mit Erklären, auch lautstark darauf aufmerksam. Ich rate fleißig mit, aber soll doch bitte versuchen, die Wörter auf Isländisch zu sagen. Da kommt ganz die Lehrerin in Rakel zum Vorschein. Bevor ich dran bin mit Wörter umschreiben, gibt es Essen. Glück gehabt.
Das zweite Highlight war letzte Woche Donnerstag, hier ein offizieller Feiertag: der erste Sommertag! Er fällt immer auf den ersten Donnerstag nach dem 18. April und stammt noch aus der Zeit, in der in Island nur Sommer und Winter unterschieden wurden. Es war auch schon fast sommerliches Wetter: Sonne pur, blauer Himmel - und dann geht man raus und stellt fest, dass es nur 5°C sind. Nichtsdestotrotz haben wir uns einen schönen Tag gemacht und sind allemann nach Stykkishólmur ins Schwimmbad gefahren. Íris war nicht dabei, aber dafür die Nachbarstochter, Jóns kleine Freundin Inga, genauso blond wie Jón, genauso sommersprossig wie er, aber viel süßer. Ich male mir immer aus, dass sie mal heiraten werden. Aber daraus wird wohl nichts, denn Rakel will ja so bald wie möglich nach Keflavík zurück ziehen, dann werden sie ihre Freundschaft wohl kaum aufrecht erhalten können, obwohl sie es sich vielleicht hoch und heilig versprechen werden. Leider kein Happy End. Oder vielleicht doch, wenn ich mir so anschaue, dass Jón sich jetzt schon nach dem Kindergarten zu Hause in einen Sessel fallen und sich von den Zwillingen die Schuhe ausziehen und wegräumen lässt. Ja, ich glaube, Inga hat jemand Besseres verdient!
Aber wo war ich stehen geblieben? Genau. Schwimmen. Das letze Mal waren wir alle zusammen am Ostersamstag - oder ist die korrekte Bezeichnung Karsamstag, ja, das passt eher - schwimmen. Es war das erste Mal, dass ich mit Sóley schwimmen war und es war tierisch anstrengend, sie umzuziehen, weil das Schwimmbad brechend voll war, die Umkleide dementsprechend auch, daher kein Platz, um sie irgendwo hinlegen zu können, kurzum: ätzend. Aber diesmal war es anders, das Schwimmbad war fast menschenleer, zudem hat Eysteinn sich um Sóley gekümmert und ich habe dafür Rakel mit den Zwillingen geholfen. So konnten wir uns dann ganz entspannt in den Hot Tubs suhlen, in den blauen Himmel blinzeln und uns die Frühlingssonne auf den Pelz scheinen lassen.
Anschließend gab es Eis und zu Hause Hamburger vom Grill - o ja, so schmeckt der Sommer!
Das dritte Highlight gab’s dann heute. Allerdings nur mein eigenes kleines persönliches Highlight: Ich habe mich zum ersten Mal ans Steuer eines Automatik-Wagens getraut - und das sehr erfolgreich. Ich bin so stolz auf mich! Aber ich sollte vielleicht weiter ausholen: Wie ihr vielleicht wisst, oder auch nicht, haben wir zwei Autos. Das kleine, manuelle Schaltung, normal 5 Sitze, noch zwei zum Ausklappen im Kofferraum, dann passt aber der Rollstuhl nicht mehr rein. Und das große, der Bus, Automatik, immer 8 Sitze, Rollstuhl passt trotzdem rein. Ich bin bisher ausschließlich mit dem kleinen Auto gefahren, zum Einen, weil ich eben noch nie mit automatischer Schaltung gefahren bin, zum Anderen, weil der Bus mir einfach zu groß ist und ich wirklich nicht scharf darauf bin, ihn zu fahren.
Heute Morgen ergab sich dann aber folgende Situation: Eysteinn war mit dem kleinen Auto in Reykjavík, weil es in die Werkstatt musste. Zuvor hatte er mir gesagt, ich sollte doch bitte versuchen, während des Fahrens so wenig wie möglich zu bremsen. Sehr beruhigend, nicht wahr? Das große Auto ist schon seit Montag in der Werkstatt, warum weiß ich nicht, vermutlich, weil diese Familie einfach kein Glück mit ihren Autos hat. Da der Bus für uns unverzichtbar ist, musste also ein Mietwagen her: Ein fetter weißer Dodge, ich fand ihn auf Anhieb nicht sehr sympathisch. Zu bullig, zu weiß, zu viel technischen Schnickschnack, zu weiß, trotz der Größe nur 4 Sitze, optional 7, aber dann ist wieder kein Platz für den Rollstuhl und außerdem: zu weiß.
Also, die Situation heute Morgen: Ein Auto, sieben Leute müssen rein, der Rollstuhl idealerweise auch. Dieses Szenario hat uns - nein, ich bin ehrlich, hauptsächlich Eysteinn - gestern sehr viel Kopf zerbrechen bereitet, ungefähr so: Also, wie machen wir das morgen früh? Sóley muss um 8 bei der Physiotherapie sein, Rakel müsste um 8 in der Schule sein. Gut, Ester, dann kommen in die erste Ladung du, Sóley, die Zwillinge und Rakel. Dann kommst du zurück und holst Íris und Jón. Nein, das geht nicht, dann seid ihr bei der ersten Tour zu Fünft, dann muss die hintere Rückbank ausgeklappt werden, dann passt der Rollstuhl nicht mehr. Und außerdem kannst du das Auto ja nicht fahren. Na gut, ich überleg mir was.
Die Lösung war dann relativ simpel: Ich bin mit Sóley inklusive Rollstuhl zu Fuß zur Therapie gegangen, Rakel hat die Kinder in den Kindergarten gebracht und war dann eben erst um kurz nach 8 in der Schule. Von da aus hat sie mich angerufen und mir vorgeschlagen, dass ich das Auto abholen könnte, wenn ich will, dann müsste ich nicht im Regen nach Hause laufen und später Jón nicht davon überzeugen, im Regen zum Fußball zu laufen. Genau, regnen musste es natürlich auch noch. Ausgerechnet heute. Wir hatten zwei Wochen wunderschönes Wetter, aber gerade heute musste es sich ändern.
Gut, also mache ich mich auf zur Schule, um das Auto zu holen. Einen Automatik-Wagen, dazu noch ungewohnt groß, dazu noch gemietet, nahezu niegelnagelneu, den ich theoretisch gar nicht fahren dürfte. Ich hole mir die Schlüssel bei der Sekretärin ab und stelle mich der Herausforderung. Aufschließen klappt schonmal, also habe ich das richtige Auto und die richtigen Schlüssel. Anschnallen klappt auch, soweit alles wie gewohnt. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und blicke rechts neben den Fahrersitz, wo sich der Schalthebel befinden sollte. Dort ist nichts. Ich atme tief durch und suche ihn. Denn ich bin ja nicht ganz blöd, ich weiß schon, dass selbst ein Automatikauto einen Schalthebel hat, auch wenn ich kurzzeitig in Erwägung ziehe, dass dieser Wagen schon so neu ist, dass er vielleicht per Stimme gesteuert werden kann. Dann fällt mein Blick auf etwas, das einem Schaltknüppel sehr ähnlich sieht und sich neben dem Lenkrad befindet. Prima, Motor an, Fuß dabei vorsichtshalber ganz fest auf der Bremse. Ich muss rückwärts aus der Parklücke raus, dann wähle ich mal R, das steht doch für den Rückwärtsgang, meine ich mich zu entsinnen. Aber vorher noch die Scheibenwischer an, denn es regnet ja immer noch. Zu meiner Überraschung verwandelt sich das großzügige Radio-Display beim Schalten in den Rückwärtsgang und zeigt plötzlich das, was sich hinter dem Auto befindet. Ein Auto mit Kamera hinten - Wahnsinn!
Dann muss ich nur noch auf D schalten und sehr sehr vor-, um- und rücksichtig nach Hause fahren. Dabei fällt mir erst nach einigen hundert Metern auf, dass die großen Ziffer auf dem Tacho Meilen sind, die kleine Skala darunter zeigt Kilometer, und ich habe mich schon gewundert, warum es so lange dauert, bis ich die innerörtliche Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h (in Island gibt es eben keinen Grund zur Eile) erreicht habe.
Ich stelle fest, dass es Spaß macht, am Steuer eines so großen und neuen Wagens zu sitzen, aber dennoch bin ich froh, als ich und das Auto wohlbehalten in unserer Einfahrt ankommen. So viel Nervenkitzel, dazu noch vor 9 Uhr morgens, dass muss ich erstmal verarbeiten, immerhin bin ich nicht mehr die Jüngste.
Das also war die Geschichte von der kleinen Ester und dem großen Auto, die sich letztendlich doch noch anfreunden konnten.
So, und jetzt ist Schluss für heute, spät ist es schon wieder geworden. Gute Nacht, oder um es mit den Worten der englischen Ausgabe von „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ – meine Lektüre für den Englischkurs, selber ausgesucht, selber schuld – auszudrücken: Good night, you princes of Maine, you kings of New England. Nur noch gute 100 Seiten zu lesen – yippie!
Und wo wir schon beim Thema Englisch sind: Hier die englische Version des isländischen Beitrags für den Eurovision Song Contest. Anders geht’s wohl nicht. Aber wenn die englische Version im Radio läuft und ich nicht genau hinhöre, denke ich immer, es sei die isländische. So schlimm ist es also gar nicht, aber hört selbst mal rein.
Morgen geht's über's Wochenende nach Keflavík. Aber für mich nicht. Ich bleibe hier. Auf eigenen Wunsch. Das wird wundervoll! Bis zum nächsten Mal.
Dein Wage(n)mut und das Video zu dem song auch.
Der läuft hier sogar in Radio Berg rauf und runter.
Ich finde ihn lang, oder kommt mir das nur so vor?
Sind das "Monster and Man"?Von denen läuft nämlich auch immer wieder was.
Selbst in englisch hört sich für mich alles ähnlich an - - - -
Wie mag das nur in isländisch sein?
Fahre wohl wünscht ML
Wirklich? Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass der Song es schon in die Playlist der Lokalradios geschafft hat.
Das sind nämlich nicht "Of Monsters and Men", die sind ja gerade dabei, richtig abzuheben. Ich kann sie schon fast nicht mehr hören.