Falls ihr euch fragt, wo ich so lange gesteckt habe: Ich bin durch die Hölle gegangen. Durch meine ganz persönliche Hölle. Wie diese aussieht? Mich vier Tage nonstop um die Kinder kümmern zu müssen.
Aber mehr dazu später, zuerst der versprochene Bericht über den Deutschentreff vom vorletzten Sonntag:
Dieses Mal hat Kati eingeladen, sie wohnt in Vegamót, ca. eine Stunde Fahrt von hier, auf einem Hof mitten im Nirgendwo. Barbara nimmt mich netterweise mit. Mich und noch eine andere Frau - mit Namen kann ich leider nicht dienen, die gehen bei mir zum einen Ohr rein und fast gleichzeitig zum anderen wieder raus - wie sich heraustellt meine Putzkollegin, die sich in Hellissandur um ein paar Häuser kümmert. Sie ist nicht mehr die Jüngste, vielleicht Mitte 50, lebt alleine, ihr Noch-Freund, für den sie nach Island gezogen ist, wohnt momentan auf Grund seines Jobs in Reyjavík, aber sie telefonieren natürlich regelmäßig. Woher ich das alles weiß? Nun ja, die Autofahrt ist lang und sie redet gerne und jammert noch viel lieber. Zum Glück redet Barbara genauso gerne, sodass ich mich zurück lehnen und aufs Zuhören und Aus-dem-Fenster-Schauen beschränken kann.
Kati öffnet uns die Tür - zum Glück steht ihr Name auf dem ausgebeulten Kapuzenpulli, den sie zu Jogginghose und Badelatschen trägt - wir gehen durch die Waschküche rein. Ein ziemliches Chaos, das Haus befindet sich gerade im Umbau, eine neue Küche soll kommen. Der alte Kühlschrank ist schon weg und hat ein düsteres Loch hinterlassen. Aber das ist noch lange kein Hinderungsgrund für einen gemütlichen Tratsch bei Kaffee und Kuchen. Na gut, ich erlaube mir Einzelheiten. Natürlich bleibt es nicht bei Kaffee und Kuchen. Jeder bringt etwas mit und da wir dieses Mal außergewöhnlich viele sind - 13 Frauen plus noch ein paar umherwuselnde Kinder - ist auch die Essensvielfalt sehr groß: Zwiebelkuchen, kleine Eclaires und Windbeutel, zwei Schokokuchen, Käsekuchen, selbstgebackenes Brot und selbstgemacht Marmelade, kleine Pfannküchlein, Kekse, Plätzchen, Quarkspeise, Weintrauben, Wassermelonen und und und.
Ich sichere mir schnell einen Platz in Reichweite der leckersten Sachen und schaue mir erstmal die Leute an: Jung und Alt, viele Mütter, die meisten sind mit Isländern verheiratet und leben schon lange hier. Neben mir sitzen auch ein paar Mädels in meinem Alter, sie helfen ein paar Monate auf Reiterhöfen hier in der Gegend und leider bestätigen sie alle Reitermädelsklischees. Sie reden nur über Pferde. Über Pferdefarben, Pferderassen, Stammbäume, Wettkämpfe, Sprünge, Sättel, Pferdekäufe, Pferdehöfe, Gangarten und bla bla bla. Unnötig zu erwähnen, dass ich nicht viel zu ihrem Gespräch beisteuern kann und auch gar nicht will, spätestens nicht mehr, seitdem sie mich anschauen wie eine Außerirdirsche, da ich nicht der Pferde wegen nach Island gekommen bin.
Also wende ich meine Aufmerksamkeit lieber den anderen Unterhaltungen zu. Ich habe große Auswahl, es wird geschnattert, gelacht und gelästert und zwar vom Feinsten. Am Liebsten über die Eigenarten der Isländer. Aber es kein böses Lästern, eher ein liebes Belächeln. Viele Dinge werden erwähnt, wo ich mir einfach denke: Jaa, ist mir noch gar nicht so aufgefallen, aber jetzt, wo ich drüber nachdenke, stimmt's genau.
Zum Beispiel das Arbeitsverhalten der Isländer: Schon öfters habe ich mich darüber gewundert, wie Eysteinn als Bankmanager so oft zu Hause sein kann oder einfach während der Arbeitszeit zum Friseur geht. Es liegt daran, dass hier ein völlig anderes Verhältnis zur Arbeit herrscht. Wie Barbara so schön sagt: Was ein Deutscher in einer halben Stunde schafft, erledigt ein Isländer in drei Stunden. Aber das ist kein Problem, denn er darf drei Stunden dafür brauchen. Und in diesen drei Stunden sind mindestens zwei Kaffeepausen, drei persönliche Gespräche, die absolut nichts mit der Arbeit zu tun haben, und ein kurzes Vorbeischauen auf Facebook mit drin. Hier gibt es nicht diesen unglaublichen Druck, immer alles pünktlich und perfekt abliefern zu müssen. Arbeit ist hier menschlicher und absolut nicht so negativ besetzt wie teilweise in Deutschland. Auch der Grund, warum Isländer sich selbst vor und nach Feierabend noch mit ihrem Job beschäftigen. Insiderberichen zu Folge sind arbeitsbedingte Anrufe nach 21 Uhr abends keine Seltenheit und diese Anrufe können sich - sehr zum Leidwesen mancher in Island lebenden Deutschen - durchaus länger hinziehen, weil sich natürlich erstmal ausgiebig über das Wetter und den örtlichen Klatsch ausgetauscht werden muss.
Aber dann widerum höre ich auch Geschichten über den einzigen legendären Elektriker hier auf der Halbinsel, den man nur höchst selten zu Gesicht bekommt und erst recht nicht, wenn man etwas repariert haben möchte. So manch einer wartet auf die Reparatur eines Herdes schon seit drei Jahren und ein anderer wiederum war bereit, so weit zu gehen, den Handwerker, der angeblich ein Ersatzteil holen fahren wollte, nicht mehr aus dem Haus zu lassen, bevor er seine Arbeit vollständig erledigt hatte. Letztendlich wurde er gehen gelassen, da er seine Leiter als Pfand zurück ließ. Was soll man sagen, ihr könnt es euch vermutlich schon denken: Die Leiter steht immer noch da, die Reparatur ist immer noch nicht erledigt.
Es war ein lustiges, schönes, leckeres Treffen und auf der Heimfahrt wurden natürlich alle Anwesenden der Reihe nach durchanalysiert, dabei habe ich mich aber vornehm zurück gehalten, ich war viel zu sehr damit beschäftigt, nicht einzuschlafen.
Nun kommen wir zur letzten Woche, genauer gesagt zu den Tagen von letztem Donnerstag (29.03.) bis diesen Dienstag (3.04.). In der Zeit war ich mit vier Kindern bei Eysteinns Eltern in Keflavík. Sóley war in einer Einrichtung in Reykjavík, Rakel und Eysteinn haben sich einen kurzen Urlaub in einem Luxushotel in London gegönnt - zum Golf spielen, natürlich, was auch sonst? Sie sind Donnerstagnacht geflogen und Montagnacht wieder gekommen. Während Ihnen diese Zeit viel zu kurz vorkam, da sie sich gut erholt und amüsiert haben, konnte mir der Montagabend gar nicht schnell genug kommen.
Versteht mich nicht falsch, ich habe die Kinder, besonders die Zwillinge, mittlerweile wirklich lieb gewonnen, aber vier Tage rund um die Uhr sind einfach zu viel. Natürlich war ich nicht alleine, die Großeltern, speziell die Großmutter, haben sich selbstverständlich auch gekümmert. Aber während sie unendlich geduldig ist, noch geduldiger als die Eltern, ich wusste gar nicht, dass das überhaupt möglich ist, kam ich mir dadurch umso mieser vor mit meinen Mordgedanken, die ich zeitweise, gegen Ende deutlich vermehrt, gehegt habe.
Vier Tage die Zwillinge entertainen, bespaßen, müde machen. Vier Tage Sandkasten, Spielplatz, Anschaukeln, Spazieren gehen. Vier Tage Tränen trocknen, Schnuller suchen, Streit schlichten. Streit um alles, Streit um jeden. Wie kann man sich nur so viel streiten? Besonders Íris und Jón provozieren sich ständig gegenseitig, ich hätte manchmal nicht wenig Lust gehabt, sie mit den Köpfen gegeneinander zu knallen. Ein Beispiel gefällig? Im Garten gibt es drei Schaukeln: Eine grüne, eine blaue, eine rote. Die blaue ist eine Gitterschaukel, kommt also nur für die Zwillinge in Frage. Die anderen beiden sind vollkommen identisch, abgesehen von dem Farbunterschied. Íris sitzt auf der grünen, Jón will auch die grüne Schaukel und partout nicht auf die rote. Er quengelt, schreit, weint, wälzt sich auf dem Boden, tritt um sich. Íris lacht ihn aus, was natürlich auch nicht zu seiner Beruhigung beiträgt. Irgendwann gibt sie nach und geht. Jón sitzt keine zwei Minuten auf der Schaukel, da fragt er Margrét, die mittlerweile auf der roten sitzt, ob sie tauschen will. Da krieg ich ja so einen Hals! Streitereien um nichts und wieder nichts!
Und die Großeltern, anstatt mal kräftig auf den Tisch zu hauen, sagen nur mit höchst enttäuschtem Ausdruck auf dem Gesicht: Also nein, Kinder, dass ihr euch immer streiten müsst, das haben wir aber gar nicht gern. Und sobald jemand weint, berechtigt oder unberechtigt: Nicht weinen, komm doch mal zur Oma, was möchtest du, sollen wir ein Buch lesen, willst du aus diesem warmen Pullover raus? Egal was ist, die Oma hält es für ein Allheilmittel, erstmal den Pullover auszuziehen.
Nein, diese Tage haben wirklich keinen Spaß gemacht. Besonders gegen Íris habe ich in der Zeit eine tiefe Abneigung entwickelt, da sie uns eigentlich mit den Zwillingen helfen sollte, aber stattdessen die meiste Zeit beleidigt in irgendeinem Zimmer gehockt hat, warum auch immer. Und wenn sie sich dann mal für ihre Geschwister interessiert hat, hat sie sich immer Erna Steina gekrallt, sie förmlich von mir weggezogen und sie in halsbrecherische Spiele miteinbezogen, was es mir natürlich nicht leichter gemacht hat.
Da habe ich mich dann doch lieber um Margrét gekümmert. Margrét, in der ich mich selber manchmal sehr gut wieder erkenne. Margrét, die sich lieber zurückzieht, sobald zu viele Leute um sie rum sind. Die anfängt zu weinen, weil ihr alles einfach zu viel Trubel ist. Die eher weggeht, wenn Erna Steina sie ärgert, anstatt zurück zu ärgern. Die in letzter Zeit angefangen hat, aus jedem Gedanken, der ihr in den Kopf kommt, ein Lied zu machen: Ich bin bei Oma und Opa. La la la la. Wir gehen jetzt schwimmen. La la la la. Dann könnte ich sie einfach knuddeln, was ich meistens auch mache.
Natürlich war nicht alles unerträglich und ihr wisst, ich neige zur Übertreibung, also klingt alles viel schlimmer als es letztendlich war. Und nicht zu vergessen die Feierabende, wenn wir die Zwillinge erfolgreich ins Bett gesteckt hatten - ohne Geschrei, ganz brav, das möchte ich hier nochmals hervorheben - und wir es uns dann im Fernsehzimmer gemütlich gemacht haben. An guten Filmen hat es wirklich nicht gemangelt. Freitagabend: "In Good Company" mit Jude Law. Dachte ich jedenfalls, bis zum Abspann. Nicht Jude Law, sondern Topher Grace. Noch nie von gehört, sieht aber genauso aus wie Jude Law. Samstagabend: "Mrs. Doubtfire". Immer wieder gut. Sonntagabend: "Stella í Orlofi". Eine uralte isländische Komödie, übersetzt: Stella im Urlaub. Eine klassische Komödie, kein dümmster Witz wird ausgelassen, alles ist dabei. Zu viel will ich nicht verraten, ich muss diesen Film irgendwo herkriegen.
Und natürlich kann ein guter Film nicht ohne guten Knabberkram genossen werden: Opa macht Popcorn, Oma holt den Schokokuchen - was will man mehr?
Trotzdem bedarf diese Erfahrung keiner Wiederholung und trotzdem werde ich mich bei meinen zukünftigen Kindern bedanken, wenn sie mir meine vier Enkelkinder aufs Auge drücken wollen. Ich habe größten Respekt vor den Großeltern, dass sie das alles so gelassen hinnehmen. Natürlich, sie haben mich als Hilfe, aber während ich, wenn die Zwillinge Mittagsschlaf halten, völlig erschöpft bin, fängt die Oma noch an, sauber zu machen, der Opa faltet die Wäsche oder geht mit Jón schwimmen. Ich frage mich auch, wie die Oma es geschafft hat, jeden Tag ein vorzügliches Essen zu zaubern plus noch eine kleine Nascherei wie z.B. Pfannkuchen nachmittags. Nicht zu vergessen die Kaffeetafel am Sonntag, bestehend aus einem frisch gebackenen Kuchen und Waffeln, zu der noch mehr Kinder und Enkelkinder kamen, und die anschließende Lammkeule als Abendessen, ebenfalls für alle.
Ich war jedenfalls froh, am Dienstag endlich wieder nach Hause fahren zu können. Und zwar nicht begleitet von Kindergeschrei, sondern im kleinen Auto, nur mit Sóley. Ja, wir waren mit zwei Autos angereist, der Grund war zu viel Gepäck: Die Golfausrüstung, Sóleys zwei Stühle, die wieder mal repariert werden mussten, etc.
Und ich war froh, mein eigenes Zimmer wieder zu haben. Denn habe ich schon erwähnt, dass ich natürlich die gesamte Zeit mit Margrét in einem Zimmer geschlafen habe? Margrét, die sich bewegt, die atmet, die jeden Moment in Geschrei ausbrechen kann, sei es wegen eines schlechten Traums, sei es, weil die Decke nicht zentimeter genau liegt. Schlaflose Nächte waren vorprogrammiert, meine Augenringe wurden von Tag zu Tag größer.
Lustig war ja auch, dass die Eltern mir einen Tag vor der Fahrt nach Keflavík ganz nebenbei mitgeteilt haben, dass ich ja nicht mit muss, wenn ich nicht möchte. Du weißt schon, dass du auch hier bleiben kannst, oder? Das fand ich sehr verwirrend, denn schon vor Ewigkeiten hatten sie mir gesagt, dass sie das Wochenende vor Ostern im Urlaub sind und dass ich mit zu den Großeltern fahren soll, um ihnen mit den Kindern zu helfen. Und was soll ich so lange alleine in Ólafsvík ohne Auto? Mal ganz abgesehen davon, dass die Großeltern ohne mich restlos verzweifelt wären.
So, liebe Leute. Ich sitze jetzt schon gefühlte Stunden an diesem Eintrag - unterbrochen von einer köstlichen Fischsuppe - und habe keine Lust mehr.
Was für ein Glück, dass der Gründonnerstag, Skírdagur, in Island ein offzieller Feiertag ist. Kindergarten zu, beide Eltern zu Hause, bedeutet für mich: frei. Den ganzen Tag, der ja jetzt schon bald vorbei ist. Wie wunderbar! Morgen dasselbe, aber nicht ganz so entspannt, da ich unser Haus putzen werde und nachmittags dann mein Sóley-Wochenende anfängt.
Ich bin so froh, dass hier keine zwei Wochen Osterferien sind. Am Dienstag geht der Kindergarten wieder los, am Mittwoch die Schule, ich freue mich auf den Alltag.
Heute war ich schon sehr fleißig, nicht nur, was das Bloggen angeht. Ich habe mein Zimmer osterfein gemacht, meinen Computer sortiert, ein paar neue Fotos ins Fotoalbum gestellt, mehr folgen später, und mich gekonnt um das Lesen der Englischlektüre drumherum gemogelt.
Ich habe von Rakel und Eysteinn ein grooooßes Schokoladenosterei geschenkt bekommen. Hier geht es an Ostern nicht um echte Eier, sondern um Schokoeier. Die gibt es in allen Größen, von ganz klein bis riesengroß, und sie sind gefüllt mit noch mehr Süßigkeiten und jeweils einem Zettel mit einem Sprichwort. Gegessen dürfen die Eier aber erst am Sonntag. Weit verbreitet ist hier auch sogenanntes Páska Bingó, Osterbingo, wo eben genauso diese Eier, die ein kleines Vermögen kosten, je größer sie werden, und andere Süßigkeiten verlost werden. Hier ein Foto von meinem Ei. Ein Schokoei, gefüllt mit Schokoladenperlen. Mmmh, ich freue mich auf Sonntag.
In einer Woche habe ich Geburtstag, ich durfte mir was zu Essen wünschen, ganz wie zu Hause. Ich habe mich für Lachs entschieden, den gibt es aber erst am Samstag, hier werden Geburtstage ja immer aufs Wochenende verschoben. Mein Geburtstagsgeschenk von Rakel und Eysteinn habe ich auch schon bekommen, und zwar das Trikot, das wir uns jetzt beim Basketball angeschafft haben. Und noch ein Foto. Das Rosa musste wohl sein.
So, jetzt ist aber wirklich Schluss. Ich setze mir jetzt die Kopfhörer auf und lausche der EP von Jacko Hooper. Die ist nämlich am 31. raus gekommen und ich habe sie mir gekauft. So so schön.
Aber eins muss ich noch los werden: In Keflavík habe ich die ersten Krokusse gesehen. Der Frühling ist unterwegs, das ist wundervoll. Mittlerweile ist es auch schon richtig lange hell und bald muss wohl wieder die Schlafmaske in Betrieb genommen werden. Auf unserem Trampolin herrscht momentan nonstop Hochbetrieb, einfach, weil es das einzige ist, was noch steht, alle anderen wurden ja im Winter abgebaut. Der Winter ist aber jetzt vorbei und die Kinder zieht es nach draußen. Mich auch. Aber nicht mehr heute.