Diese Woche hatte es wirklich in sich, und das, obwohl Jón von Montag bis Freitag bei den Großeltern war. Er ist Freitagabend wiedergekommen und ich habe festgestellt, dass ohne ihn alles deutlich entspannter und einfacher ist: Nur zwei Kinder, die ich vom Kindergarten abholen und neuerdings auch hinbringen muss, niemand, der die Zwillinge ärgert, keine hysterischen Wutausbrüche, weniger Geschrei, niemand, der nach dem Kindergarten erst zu diesem, dann zu jenem und letztendlich doch zu einem ganz anderen Freund gefahren werden will.
Doch das nur am Rande, ich fange mit vorletztem Freitag an.
Freitag, 6.1.
Was in Deutschland als Dreikönigstag gefeiert wird, nennt sich hier „Þrettándi“, also der 13. und letzte Weihnachtstag. Der Tag, an dem der letzte Weihnachtsmann in die Berge zurückkehrt, gefolgt von seiner grimmigen Mutter Grýla und ihrem Mann Leppalúði. Wie das gefeiert wird, konnte ich am Freitagabend miterleben: Nach dem Abendessen sind wir alle zu einem Feuer am Rande von Ólafsvík gefahren, wo sich schon die halbe Stadt versammelt hatte. Die andere Hälfte hatte sich am Gemeindehaus getroffen, um zusammen zu Fuß zu gehen. Rakel und Eysteinn haben sich beschwert, dass es doch eher ein kleines Feuer war, aber ich fand es schon ganz ansehnlich. Außerdem war das Feuer ohnehin nur nebensächlich, denn natürlich war dieses Fest vor allem nur wieder ein Grund, um die Feuerwerksreste von Silvester loszuwerden. Während wir also im Schnee ums Feuer herumstanden, das ein ziemlich skrupelloser Feuerwehrmann immer wieder mit flüssigem Brandbeschleuniger gefüttert hat, sodass die Menge in regelmäßigen Abständen vor der Stichflamme zurückwich, wurde in angemessener Entfernung ein Feuerwerk abgefeuert. Diesmal eins für alle und von professioneller Hand, sodass sich meine Schreckerfahrung von Silvester nicht wiederholt hat. Natürlich waren Grýla und Leppalúði auch anwesend, schlichen ums Feuer herum und erschreckten die Kinder, die, wie auch ein paar Erwachsene, alle verkleidet erschienen sind – von Schlümpfen, Clowns bis hin zu kreativen Fantasiekostümen war alles dabei. Man muss es sich also vorstellen wie eine Mischung aus Karneval und Silvester, denn nachdem das Feuerwerk vorbei war und Grýla und Leppalúði auf einem Wagen davon gebraust sind, ging für die Kinder der interessante Teil erst los: Das Süßigkeitensammeln wie ich es nur von Karneval oder auch St. Martin gewohnt bin. Wieder ein Zeichen dafür, dass die Kinder es in Island sehr leicht haben, war die Tatsache, dass sie noch nichtmals singen oder was sagen mussten, was die Jüngsten unter ihnen auch noch gar nicht konnten, um die Süßigkeiten zu bekommen. Kaum klopfte es an der Tür, stand ein Erwachsener mit einer Süßigkeitenschüssel dahinter und man konnte sich was nehmen. Ich werde mich aber nicht beschweren, immerhin profitiere ich nicht wenig von den zwei vollen Süßigkeitendosen im Schrank.
Samstag, 7.1.
Eysteinns Vater feiert Geburtstag – mit einem Mittagessen im Hilton. Nach einer mühsamen und langen Fahrt über eisglatte Straßen, auf der die Zwillinge partout nicht einschlafen wollen, kommen wir eher unentspannt in Reykjavík an. Als Entschädigung erwartet uns dort ein fabulöses und delikates meterlanges Buffet mit vielen vielen Köstlichkeiten. Zwischen Essen und Aufbruch machen wir es uns in der Lobby bequem und legen ein kleines Verdauungspäuschen ein während die Kinder die Nerven und die Geduld der Hotelangestellten auf die Probe stellen, indem sie beispielsweise die Gepäckwagen zu Rennautos umfunktionieren oder die mit Helium gefüllten Ballons an die Decke steigen lassen und sie dann nicht mehr herunterholen können.
Nach einer Weile geht es für uns weiter ins Einkaufszentrum, mitsamt den Großeltern, Eysteinns Bruder, seiner Verlobter und ihrem kleinen süßen Sohn. Der Aufenthalt ist zum Glück eher kurz, denn er dauert nur solange, bis sich jedes Kind ein Spielzeug ausgesucht hat, was Opa ihnen kauft. Viel länger dauert das Entreißen der Dinge, die Opa ihnen nicht kauft, die die Kinder aber trotzdem haben wollen. Ich schaue mich alldieweil in der Filmabteilung um und bin froh, dass ich kein Geld dabei habe, denn ansonsten wäre ich bei der vollständigen achtteiligen Harry-Potter-Box vermutlich schwach geworden, auch wenn sie auf Englisch mit schwedischen Untertiteln ist.
Danach trennen sich die Wege unserer Gruppe: Rakel und Eysteinn fahren mit den Zwillingen schwimmen, Íris und Jón fahren mit den Großeltern nach Keflavík und ich mit Gummi (Eysteinns Bruder), Erna María und Ingvar Berg ebenfalls nach Keflavík, da mir der Sinn eher nach Ausruhen als nach Schwimmen steht. Auf der Fahrt erfahre ich, dass Gummi leidenschaftlicher Filmsammler ist und über 3000 DvDs, 300 Videos und einige Blue Rays besitzt. Wahnsinn, oder? Ich war leider noch nicht bei ihnen zu Hause, aber das werde ich nachholen, um diese Pracht mit eigenen Augen zu sehen. In Keflavík spiele ich noch ein bisschen mit Ingvar Berg, aber dann ziehe ich mich zurück, um das deutsche Fernsehen zu genießen. Allerdings stelle ich fest, dass dieses mit „Bruce allmächtig“ nicht sehr viel zu bieten hat und wechsle dann doch lieber zu den isländischen Sendern mit „Mamma Mia“ und später „Titanic“.
Sonntag, 8.1.
Da ich diesmal alleine in einem Zimmer schlafe, kann ich sehr entspannt lange und gemütlich ausschlafen und als ich aufwache, ist es auch schon bald Zeit, nach Hause aufzubrechen – wie gesagt, ohne Jón, was die Fahrt sehr viel ruhiger gestaltet. Außerdem ist das Eis auf den Straßen mittlerweile weggeregnet worden und auch die Schneemenge in Ólafsvík hat sich sichtbar reduziert, da die Temperaturen seit langer Zeit mal wieder über 0°C lagen. War es das schon mit dem Winter? Nein, nicht ganz, wie wir noch feststellen werden.
Die Woche vom 9. bis zum 13.1.
Am Montag fing mein neuer „Stundenplan“ an. Es gibt ein paar kleine Änderungen, die wichtigste ist, dass ich die Kinder morgens in den Kindergarten bringe und nicht wie bisher Sóley zur Schule bzw. zur Physiotherapie fahre. Warum diese Änderung? Sóley hat einen neuen Rollstuhl bekommen, da der alte ihr schon erheblich zu klein war, und dieser neue Rollstuhl passt nun unpraktischerweise nur noch in den Kofferraum des kleinen Autos, wenn man die Rückbank umklappt. Aber die Rückbank kann man schlecht umklappen, wenn die Kindersitze darauf befestigt sind. Und die Kindersitze müssen im kleinen Auto sein, weil ich die Kinder ja vom Kindergarten abhole – mit dem kleinen Auto. Die ganze Situation wäre einfacher, wenn ich auch mit dem großen Auto fahren könnte, aber ich bin nicht heiß darauf, so ein großes Auto zu lenken, dazu noch mit Automatik, im Schnee und mit einem Riss in der Frontscheibe. Und damit Eysteinn nicht jeden Tag, nachdem er die Kinder mit dem großen Auto gefahren hat, die Kindersitze ins kleine Auto uminstallieren muss, bringe ich die Kinder eben ab jetzt in den Kindergarten. Anfangs gab es noch Proteste seitens der Zwillinge, aber mittlerweile haben sie sich dran gewöhnt, es ist kein Problem mehr und Erna Steina lässt sich sogar ganz brav jeden Morgen das Augenpflaster von mir draufkleben. Mal sehen, wie es weitergeht, denn wenn Jón wieder dabei ist, wird er bestimmt darauf bestehen, dass sein Vater ihn fährt. Filmreifer Wutausbruch vorprogrammiert? Bitte nicht.
Am Dienstag hat uns der Winter mittels eines Schneesturms gezeigt, dass er wieder voll bei der Sache ist. Der Wind fing schon in der Nacht an und wurde bis zum Morgen immer stärker und als ich unterwegs zum Kindergarten war, musste ich immer wieder anhalten, weil ich in dem Schneegestöber absolut nichts gesehen habe. Gerade, als ich froh war, wieder heile zu Hause angekommen zu sein, fiel der Strom aus. Kein Problem, so kamen die diversen Kerzen und Teelichte in meinem Zimmer nochmal voll zum Einsatz. Es hätte also ein gemütlicher Vormittag werden können, wenn da nicht der Putztermin gewesen wäre. Denn am Dienstag um 10 Uhr sollte ich zu einem Mann gehen, wo ich bisher noch nicht war, weil er tagsüber immer arbeiten ist und ich die Schlüssel noch nicht hatte. Ich kann also im Prinzip kommen, wann ich will, aber beim ersten Mal wollte er dabei sein, um mir alles zu zeigen und um mich seinem Hund vorzustellen. Den ganzen Dienstagmorgen habe ich hin und her überlegt, ob ich wirklich hingehen soll bei dem Wetter, aber letztendlich hat dann mein urdeutsches Pflichtbewusstsein gesiegt. Ich also warm eingepackt, Schal ums Gesicht gewickelt und raus in den Sturm. Denn auf noch so eine riskante Autofahrt konnte ich ruhig verzichten, also habe ich mich voll und ganz auf meine Füße verlassen. Unglücklicherweise wohnt der Mann auch noch am weitesten von allen Kunden weg, aber letztendlich bin ich dann sicher angekommen. Nur um innerhalb von zehn, nein fünf, Minuten gezeigt zu bekommen, wo ich die Putzsachen finde und um einmal den Hund zu streicheln, der Staubsauger gar nicht mag, wie ich am Tag darauf festgestellt habe. Dann war ich auch schon wieder entlassen, denn Putzen ohne Strom macht ja auch nicht viel Sinn. Also stapfe ich wieder zurück und lege mich mit Buch ins Bett. Aber nicht lange, denn bald kommt Eysteinns Anruf, der Kindergarten würde zu machen, ob ich mich um die Kinder kümmern würde, wenn er sie nach Hause bringen würde. Selbstverständlich. Aber dann gibt es natürlich noch eine spontane Planänderung: Die Bank hat Strom, also wäre es doch besser, wenn die Kinder dort im Warmen wären. Also werde ich abgeholt, Eysteinn geht ins Haus, um Essen, Spielsachen, Windeln etc. zusammen zu packen. Während ich noch mit den Zwillingen im Auto warte, kehrt der Strom zurück und somit auch unser ursprünglicher Plan – ich passe zu Hause auf die Kinder auf.
Am Mittwoch beglückt uns der Strom den ganzen Tag mit seiner Anwesenheit, am Donnerstag leider nicht. Dabei wäre es am Donnerstag um einiges wichtiger gewesen, da Rakel am Nachmittag nicht zu Hause und Eysteinn schon am Morgen Richtung Reykjavík aufgebrochen ist. Also bin ich mit Sóley, den Zwillingen, Íris und einer Freundin von ihr schon eine Weile alleine zu Hause, als die Lichter flackern und der Strom sich erneut verabschiedet. Zum Glück nehmen die Zwillinge es ganz locker und die einzige Angespannte in dieser Situation bin wohl ich angesichts explosiven Mischung von Kerzen und Kindern. Aber es ist alles gut gegangen, der Strom war nicht lange weg, sodass Íris und Freundin sich keine alternativen Beschäftigungen zum Fernsehen mehr ausdenken mussten wie zum Beispiel sich die Finger mit Kerzenwachs zu verzieren oder Schach zu spielen.
Angesichts dieser Ausnahmewoche war es nochmals umso besser, dass Jón nicht hier war und am Freitag wusste ich es richtig zu schätzen, das Haus nicht verlassen zu müssen, denn freitags steht immer unser Haus auf dem Putzplan. Und als Eysteinn und Jón abends nach Hause gekommen sind und es keine zehn Minuten gedauert hat, bis in der allgemeinen Aufregung erst die Zwillinge zu weinen angefangen haben und anschließend Jón ausgetickert ist, warum auch immer, wusste ich es sehr zu schätzen, die Zimmertür einfach hinter mir zumachen zu können. Aber als sich alles wieder etwas beruhigt hatte, war es auch sehr schön, als Jón zu mir kam, um mit mir Fußball zu spielen. Vielleicht wird es ja doch nicht so dramatisch, ihn in den Kindergarten zu bringen.
So, jetzt habe ich euch soweit wieder auf den neuesten Stand gebracht. Dieses Wochenende kümmere ich mich um Sóley und ich freue mich schon, wenn ich nächstes Wochenende einfach mal wieder ausschlafen kann. Gestern Abend hat in Island die Auswahl für den Sänger für den Eurovision Song Contest begonnen, in Deutschland ja auch vor einer Woche oder so, wenn ich mich nicht irre, oder? Gestern wurden fünf Lieder gespielt, von denen zwei weitergekommen sind. Nächsten Samstag gibt es fünf neue Lieder, das werde ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Mein persönlicher Favorit gestern Abend, der dann auch weitergekommen ist, war dieser Song.
Nicht berauschend, aber im Gegensatz zu den teilweise experimentellen Zumutungen schon eher was für die breite Masse, also auch für mich.
Im Moment ist der Himmel draußen sogar stellenweise blau, das habe ich schon lange nicht mehr erlebt, und der Schnee schmilzt und schmilzt und schmilzt. Vielleicht ist das Schlimmste ja jetzt überstanden. Aber ein gutes hatten die Stromausfälle ja: Danach mussten die Sender der Fernseher neu programmiert werden und seitdem gibt es beim Fernseher hier unten genauso eine reichhaltige Auswahl an Sendern wie bei dem oben. So ergab sich gestern der Luxus für mich, „About a Boy“ schauen zu können, der auf Englisch noch viel besser ist als auf Deutsch.
Also dann, ich verabschiede mich für heute. Als nächstes werde ich euch endlich mal etwas ausführlicher über meinen Alltag als Putzfrau berichten und auch über den mysteriösen Sockenschwund in diesem Haus. Es bleibt spannend.
Danke. Nein, leider lerne ich kein Isländisch. Bzw. nur wenig, da kein Sprachkurs zustande gekommen ist. Mittlerweile verstehe ich viel, aber mit selber reden ist noch nicht so viel. Trotzdem probiere ich, mit den Kindern Isländisch zu reden und meistens verstehen wir uns auch, denn mit den Zwillingen bin ich sogesehen auf einem Sprachniveau.
Und um an dieser Stelle noch auf deine Frage bezüglich der Süßigkeiten zu antworten: Ich habe hier zum ersten Mal die Kombination von Lakritz und Schokolade kennen gelernt. Einfach super lecker und gibt es hier sehr oft, in Deutschland leider nicht, jedenfalls meines Wissens nicht.