GRüsse

Warum ich jetzt noch was schreibe, schon zum zweiten Mal an diesem Tag, anstatt gemütlich in meinem Bett zu liegen und Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte zum Einschlafen zu hören?
Weil die Eltern bei einem Weihnachtsessen sind und ich über die mehr oder weniger schlafenden Zwillinge wache während Íris und Jón mit einem Film und Süßigkeiten nach unten verbannt worden sind.
Allerdings bietet sich so die Gelegenheit, detailliert von einem ziemlich schrägen Erlebnis zu berichten, das sich heute zugetragen hat:

Heute Nachmittag fahre ich nichtsahnend los, um Sóley ab zu holen. Alles wie immer, den kurzen Weg kenne ich schon im Schlaf und mittlerweile ist auch der Neuschnee auf den Straßen kein so großes Hindernis mehr für mich, auch wenn noch öfters das orange Schlinger-Warnlämpchen aufblinkt.
Ich fahre also so dahin und schenke der Stoppschild-Kreuzung nicht mehr Beachtung als sonst, da ohnehin nur sehr selten ein Auto kommt. Deshalb komme ich auch etwas später zum Stehen als man es eigentlich sollte. Normalerweise ist der Umstand, das ich schon halb auf der kreuzenden Fahrbahn stehe, völlig nebensächlich, aber heute ist die Straße, die ich überqueren will, von einem ansehnlichen Schneehaufen verengt, den die Schneeräumer akkurat aufgetürmt haben. Dazu kommt noch ein von rechts herannahendes Auto, das Vorfahrt hat und den Schneeberg links umfahren müsste, wo ich aber den Platz verringere, da ich ja, wie schon gesagt, halb auf der anderen Straße stehe. Kann man soweit folgen?
Ich überlege, ob ich ein Stück zurücksetzen soll, da sich das herannahende Auto als großer Jeep herausstellt. Gerade, als ich mich dafür entschieden habe, sehe ich, dass sich der Jeep in ziemlich flottem Tempo nähert und auch keine Anstalten macht, abzubremsen. Da mir ohnehin keine Zeit mehr bleibt, um zurückzusetzen, verlasse ich mich darauf, dass der andere Autofahrer die Situation besser im Blick hat und warte ab.
Der Jeep fährt und fährt und wird immer noch nicht langsamer. Der Jeep fährt und fährt und fährt voll auf den Schneehaufen. Ja, auf den Schneehaufen, offensichtlich dank Allradantrieb. Nicht in den Schneehaufen. Folgendes Bild bot sich mir also, und zwar nur mir, da niemand anderes diesen Vorgang beobachtet hat: Ein gut drei Meter hoher Schneeberg, auf dessen Spitze ein Jeep thront, drei Räder in der Luft, eins im Schnee versunken. Darin ein Fahrer, dem es offensichtlich bestens geht, jedenfalls grinst er nur angesichts meines verdutzen Gesichtsausdrucks. Vielleicht steht er ja unter Schock. Ich jedenfalls stehe kurz davor und mir rast ein Gedanke nach dem anderen, wie es dazu kommen konnte, durch den Kopf. Wenn der Jeepfahrer fand, dass ich zu weit auf der Straße stand, hätte er auch einfach hupen können, anstatt mir mit so einer Performance Respekt einzuflößen. Vielleicht ist es aber auch eine neue Risiokosportart mit dem Nebeneffekt, harmlose Passanten zu schockieren. Vielleicht hat der den Schneeberg auch einfach nich gesehen. Das wäre wohl die naheliegendste, aber auch die unwahrscheinlichste Möglichkeit. Ein riesengroßen Schneeberg, der sich vor einem auf der Fahrbahn auftürmt, lässt sich nicht so einfach übersehen, oder?
Das Ganze hat sich innerhalb von Sekunden abgespielt. Ich reiße mich zusammen und fahre weiter. Ich weiß, ich hätte vielleicht aussteigen sollen und fragen sollen, ob alles in Ordnung ist. Aber, wie gesagt, ich war nahe an einem Schockzustand, was sich auch daran zeigt, dass ich laut losprusten musste. Das Bild war aber auch zu köstlich.
Auf dem Rückweg lasse ich es mir natürlich nicht entgehen, nochmal an der Stelle vorbei zu fahren. Einerseits, um mein Gewissen zu beruhigen, andereseits in der Hoffnung, dass sich so dieses Szenario auf ewig in mein Gedächtnis einbrennt. Und siehe da: Der Jeep krönt noch immer den Schneeberg, nur der Fahrer ist weg. Die Insassen anderer Autos, die vorbeifahren, schauen nicht minder verdutzt als ich vorhin. Also fällt die Risikosportart wohl weg.
Ich hoffe, das der Jeep morgen immer noch da hängt, dann muss ich unbedingt ein Foto machen, damit ihr seht, dass ich mir das alles nicht ausgedacht habe.