Sonntag, 18.12.2011
Jetzt sitze ich hier also. Es ist Sonntag, der vierte Advent, noch sechs Tage bis Weihnachten. Draußen ist es sehr ungemütlich, es schneit und es stürmt, also bleibe ich heute lieber drinnen und mache es mir auf meiner Bettinsel bequem.
Vielleicht werde ich endlich mal wieder zu meiner Klarinette greifen, sie fragt sich bestimmt schon, warum ich sie überhaupt mitgenommen habe. Aber ohne Orchester habe ich auch nichts, wofür ich üben müsste, also lässt meine Motivation in dieser Hinsicht manchmal sehr zu Wünschen übrig. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber der Musikverein fehlt mir schon. Vielleicht nicht unbedingt die Marschmusik und auf keinen Fall die Schützenfeste, aber hin und wieder hätte ich montagabends schon Lust auf eine Probe, in der es egal ist, dass ich nur die Stücke geübt habe, die ich mag und die ich ohnehin schon kann, da meine anderen Klarinettenkollegen in der zweiten Reihe noch weniger geübt haben.
Aber noch mehr fehlt mir jetzt in der Weihnachtszeit das familiäre Musikmachen, obwohl das meistens nicht sehr friedlich abgelaufen ist, wenn wir uns dann endlich mal alle zum Üben zusammengefunden hatten. Ich könnte mich ärgern, dass ich meine Weihnachtsnoten nicht mitgenommen habe. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als gegen Íris' dauerhaftes „Jingle Bell Rock“-Geklimper auf dem Klavier mit diversen Jazz-Etüden oder klassischen Stücken anzukämpfen, die bestimmt eigentlich gar nicht aus der Klassik, sondern der Romantik sind, was ich zu Musikschul-Zeiten auch noch gewusst hätte. Aber das werde ich wohl besser erst nach dem Mittagsschlaf der Zwillinge tun, bis dahin begnüge ich mich mit der einzigen Weihnachts-CD die ich auf meinem Laptop habe.

Wundert euch nicht, wenn mein Geschriebenes heute etwas schwerfällig und unzusammenhängend klingt, aber ich bin heute viel zu früh von Kindergeplapper vor meiner Zimmertür geweckt worden. Erst war ich genervt, dann fand ich es süß, was ja wohl ein deutliches Anzeichen von Übermüdung ist. Außerdem habe ich eine Tüte Nammi neben mir liegen, deren Inhalt sich kontinuierlich dezimiert, weil meine rechte Hand fast wie von selbst immer in die Tüte wandert, was meinen Schreibfluss enorm hemmt.

So, los geht’s, von vorne nach hinten. Gestern waren wir alle zusammen in Stykkishólmur. Ein schönes kleines Städtchen, ca. 50 km von Ólafsvík entfernt und viel mehr auf Tourismus ausgerichtet, da dort anscheinend nicht so viel Fisch gefangen werden kann und das Geld also auf andere Weise reinkommen muss.
Zuerst waren wir im Schwimmbad, wo ich zum ersten Mal meinen neuen Badeanzug, den ich zusammen mit der Schneehose gekauft habe, ausprobieren konnte. Denn Dezember und Bikini kann ich definitiv nicht miteinander vereinbaren. Leider hat sich herausgestellt, dass der Badeanzug für gelenkige Leute gemacht ist, die durchaus in der Lage sind, den Reißverschluss am Rücken zu öffnen und zu schließen. Ich bin nicht gelenkig, das weiß ich spätestens seit ich im Sportunterricht die Übung, wo man sich sozusagen selbst hinterrücks die Hand geben soll, während eine Hand von oben kommt und die andere von unten – wisst ihr, was ich meine? - beim besten Willen und erst recht nicht unter den Argusaugen der Sportlehrerin bewältigen konnte. Ein Glück nur, dass Íris mir geholfen hat, also konnte ich mich doch noch mit meinem neuen Badeanzug im warmen Wasser suhlen, von Schnee umgeben, während im benachbarten Hot Tub die eingefleischten Isländer mit Wollmützen auf dem Kopf ihre Meinung über Gott und die Welt austauschten.
Danach ging's weiter zum Friseur, immerhin ist ja bald Weihnachten. Jón, Rakel und Eysteinn bekommen einen neuen Haarschnitt verpasst, wir anderen schauen zu. Zum Glück gibt es für die Zwillinge genügend Kinderbücher und für mich genügend Schokolädchen. Eysteinn und Jón sind schnell durch, Rakel noch lange nicht. Also geht’s weiter zum benachbarten Supermarkt – vorweihnachtlicher Großeinkauf, wo Eysteinn mit den Folgen seiner großzügigen und spendablen Erziehungsmethoden konfrontiert wird. Jón will unbedingt dieses und jenes, kein Wunder, wenn er es gewohnt ist, bei jedem Einkauf mindestens ein neues Spielzeug oder eine neue DvD zu bekommen. Diesmal hat er sich eine ganz bestimmte DvD in den Kopf gesetzt, die er unbedingt haben will, die er aber schon zu Weihnachten kriegt. Also erfährt er zum ersten Mal, dass sein Vater „Nein“ sagt und Tränen der Verzweiflung und ein Wutausbruch wie er im Buche steht sind die Folge.
Weil Rakels Friseursitzung danach immer noch nicht beendet ist, die Kinder aber beschäftigt werden wollen, fahren wir in den Ortskern zu einem Spielzeugladen. Dort wieder dasselbe Spiel: Jón will nahezu alles haben, was er sieht, und er will es sofort und auf der Stelle und quengelt und quengelt. Währenddessen räumen die Zwillinge die Regale aus und Íris verschwindet irgendwo in den Tiefen des Ladens und taucht erst wieder auf, als der Rest der Bande schon wieder erfolgreich aus dem Laden gezerrt wurde. Habe ich schon erwähnt, dass die Kinder in Island ab dem 11. Dezember jede Nacht was in die Schuhe kriegen? Ein deutliches Anzeichen, dass die isländischen Kinder verwöhnt sind. Denn es wird ihnen zwar immer angedroht, dass sie, wenn sie nicht lieb sind, Kartoffeln in ihre Schuhe kriegen, aber wahr gemacht wird diese Drohung dann doch nie. Genauso auch gestern: Wir fahren zurück und Jón, der sich wegen all dieser himmelschreienden Ungerechtigkeiten aufführt wie ein Dreijähriger, und Íris werden bei Rakel abgeliefert, die mittlerweile zwar fertig ist, aber deren Haare trotzdem genauso aussehen wie vorher. Sie gehen nochmal in den Supermarkt und Eysteinn, ich und die Zwillinge fahren nochmal zu dem Laden und kaufen Spielzeug, was dann in die Schuhe kommt. So viel dazu.

So, nun habe ich erst mal keine Lust mehr. Aber vielleicht folgt später am Tag noch mehr Geschriebenes. Natürlich über mein neues Putzfrauen-Dasein, das ich bis jetzt sehr angenehm finde, aber auch über alltägliche Sachen, die so anders sind als in Deutschland, zum Beispiel über die Müllabfuhr, und auch ein paar kleine interessante Anekdoten, vielleicht über Bier, das bis 1989 in Island illegal war, oder auch anderes. Bis dann.


Was ist denn Nammi?

Das isländische Wort für Süßigkeiten. Finde ich sehr treffend.

Stimmt, das ist eine sehr sprechende Bezeichnung. :-)

Gibt es in Island eigentlich Süßigkeiten, die man in Deutschland nicht so kennt?