Dienstag, 29.11.2011
Ihr könnt mir gratulieren. Soeben habe ich erfolgreich meine Hose genäht. Ich weiß nicht, ob es an der guten Kost hier liegt oder an der brutalen Waschmaschine aber zwei von meinen vier Hosen lösen sich immer mehr auf. Also habe ich flugs zu Nadel und Faden gegriffen, nachdem ich sie gefunden hatte – wenn man lange genug sucht, findet man alles in diesem Haus – und zumindest die eine Hose provisorisch genäht. Mal sehen, wie lange es hält, ansonsten steht beim nächsten Reykjavík-Besuch eben der Hosenkauf als oberster Punkt auf meiner Liste.

So. Und nun zum Wochenrückblick:
Langsam, aber sicher, komme ich in Vorweihnachtsstimmung. Daran kommt man hier auch gar nicht vorbei. Angefangen hat alles damit, dass sich am Dienstagabend die Hagel- und Regenschauer in Schnee verwandelt haben – eine sehr willkommene Abwechslung. Am Mittwoch gab es noch mehr Schnee und am Donnerstagnachmittag, gerade als ich das erste Schlittenfahren mit Jón und den Zwillingen genossen habe, kam Eysteinn, um uns alle mit zur Bank zu nehmen. Warum? Eysteinns Antwort: Wir dekorieren alle zusammen die Bank, also musst du sehr aktiv sein. Was soll das denn heißen? Als ob ich sonst nicht aktiv wäre – immerhin hat er uns gerade vom Schlittenfahren weggeholt. Ohnehin setzen sich erstmal alle hin, um zu essen (Sandwiches, Häppchen, Spekulatius, Ingwerkekse) und zu trinken (Kaffe und Kakao). So viel also zur Aktivität.
Danach werden eine Menge Kartons rausgeholt, Weihnachtsmusik angemacht, Süßigkeiten an die Kinder verteilt. Zuerst wird der künstliche Weihnachtsbaum aufgestellt und mit Kugeln und Glitzergirlanden geschmückt. Dann wird jeder freie Platz mit Figürchen, Girlanden und Lichterketten zugestellt bzw. zugehangen bis die Bank nicht mehr wiederzuerkennen ist und alle Kartons leer sind. Zum Schluss kriege ich auch ein Tütchen mit Weihnachtssüßigkeiten und nehme mir noch ein paar Sandwiches mit.

Am Freitag baue ich einen Schneemann mit Jón. Allerdings nur einen kleinen, da die Zwillinge das kalte weiße Nass nicht mehr so toll finden wie noch am Vortag. Also wechseln wir ziemlich schnell nach drinnen und Jón muss die Möhrennase alleine befestigen.Aber auch wenn man drinnen ist, kann man Spektakuläres erleben, wie wir bald darauf feststellen. Den vor unserem Haus hält ein großer Laster inklusive Hebebühne und zwei Arbeitern, die direkt vorm Esszimmerfenster damit anfangen, eine Lichterkette draußen am Haus anzubringen. Für die perfekte Unterhaltung ist gesorgt. Besser als Kino. Und nun trägt auch unser Haus dazu bei, dass der Ort im Dunkeln aussieht wie eine Weihnachtspostkarte.

Am Samstag kann ich endlich endlich mal wieder ausschlafen. Der Rest der Familie bricht schon um 9 Uhr zum Pfefferkuchenbacken in der Schule auf. Am Vorabend wurde ich gefragt, ob ich mitkommen möchte, aber in Anbetracht der Uhrzeit lehnte ich dankend ab. Als ich aufwache, ist es schon lange hell und das will was heißen, denn mittlerweile werden hier erst um kurz nach 10 Uhr morgens die Straßenlaternen ausgeschaltet. Als ich sehe, wie wunderbar das Wetter ist – kaum Wind, es schneit nicht, teilweise sogar blauer Himmel – springe ich schnurstracks aus dem Bett, mache mich schnell fertig und dann geht’s los zu einer langen Schneewanderung über die Berge. Gibt es ein schöneres Gefühl als die unendliche Weite, bedeckt von unberührtem Schnee vor sich zu sehen? Gibt es ein schlimmeres Gefühl als Schnee, der einem in die Schuhe fällt und langsam vor sich hin schmilzt? Ja, ich muss zugeben, ich bin kleidungsmäßig noch nicht gerüstet für den isländischen Winter. Aber Spaß gemacht hat's trotzdem. Und auch einige schöne Fotos sind entstanden; folgen morgen, denke ich.

Als ich um ungefähr drei Uhr wieder zurückkomme, befindet sich die Sonne schon fast wieder auf dem Weg zu ihrem Untergang, das zumindest lässt die Himmelsfärbung erahnen, denn im Winter kommt die Sonne hier gar nicht mehr über den Berg, weshalb eine persönliche Überprüfung des Sonnenstandes von Angesicht zu Angesicht unmöglich ist.

Ich mache eine kurze Pause, dann breche ich auf ins Pakkhusid, eine Art Heimatmuseum, Laden, in dem hauptsächlich selbstgemachte Kleidungs- aber auch Schmucktstücke verkauft werden, Café und Versammlungszentrum. Im Sommer während der Touristensaison, ist dort immer geöffnet, jetzt im Winter nur zu besonderen Gelegenheiten, so wie am Samstag, wo ein kleiner Adventskaffee stattfindet. Ich trinke Kakao, esse einen Muffin und sehe mich dann ein bisschen um. Dabei treffe ich auf Barbara, die quasi das Herz des Hauses ist, sie ist im Vorstand tätig und organisiert das Meiste. Sie kommt aus Südtirol, lebt aber schon lange in Island und es tut gut, sich auch mal wieder auf Deutsch zu unterhalten.
Im zweiten Stock ist ein kleines Museum, heute ist der Eintritt frei, also nutze ich diese Gelegenheit doch. Barbara sagt mir, dass dort im Moment eine Ausstellung über einen Massenmörder ist, allerdings nur auf Isländisch. Das finde ich aber gar nicht schlimm, ein Massenmörder würde ohnehin nur meine aufkommende Weihnachtsstimmung töten wollen.
Also steige ich die schmale Treppe in den zweiten Stock hinauf und schon weht mir der typische Museumsgeruch entgegen. Jedenfalls der Geruch, den ich aus den Gebäuden im Freilichtmuseum kenne. Mama, du hättest deine Freude gehabt und du wirst sie bestimmt auch haben, wenn ihr mich besuchen kommt. Ich jedenfalls fühle mich dort fast wie zu Hause und bin schon kurz davor, mich in eine Ecke zu setzten und den Leuten etwas über die Restauration Fritz Römer zu erzählen. Da tut es dann auch nichts zu Sache, dass die Ausstellungsstücke nicht ganz mit der bergischen Geschichte vereinbar sind. Hier finden sich eher alte Fischernetze, alte Modellboote, alte Fischerkleidung und altes Fischerwerkzeug. Aber auch einen alten Herd, altes Festtagsgeschirr, alte Briefe, alte Fotos und noch viele viele Kleinigkeiten, die ich mir wohl nochmal in Ruhe anschauen werde.
Als ich zurück gehe, ist es schon dunkel, in den Fenstern leuchten Lichterketten, in den Vorgärten stehen Schneemänner, bei deren Anblick ich vor Neid erblasse und mich schon fast für unseren kleinen Schneemann schäme, die Kinder sind immer noch am Schlitten fahren – kurz: Die Weihnachtsvorfreude ist überall zu spüren.

Als ich wieder zu Hause bin, darf ich dann auch endlich meinen Adventskalender auspacken. An dieser Stell nochmal ein großes Dankeschön an dich, liebe Mama! Andere Zeiten – dieses Jahr trifft das wortwörtlich zu: Anderes Land, andere Leute, andere Traditionen.
Das zeigt sich auch am Sonntag. Um halb 5, also in der Dämmerung, befindet sich das ganze Dorf auf den Beinen und auf dem Weg zum großen Weihnachtsbaum, nicht künstlich, sondern echt, zum Glück, dessen Lichterkette heute feierlich angemacht wird. Viele kommen zu Fuß, viele mit Schlitten, fast alle mit Kindern. Alle sind warm eingepackt und ich mit meiner Jeans fühle mich irgendwie fehl am Platz, was mich aber nicht davon abhält, das Spektakel zu genießen. Als Bühne dient ein offener LKW einer der hier angesiedelten Fischfirmen. Unser Nachbarsjunge, der unter dem Down-Syndrom leidet, na ja, leiden ist eigentlich nicht der passende Ausdruck, er ist immer fröhlich, kommt auf die Bühne und zählt von 10 an runter, die Menge stimmt mit ein, und dann erstrahlt der Baum in festlichem Glanz. Der Kinderchor singt einige Weihnachtslieder, danach spielt ein Junge auf seiner Gitarre, während ein Mädchen dazu singt und wer will, kann um den Baum tanzen. Zugegeben, getanzt wird nicht wirklich, es ist eher ein gemeinsames Schunkeln, bei dem sich alle an den Händen fassen und sich langsam um den Baum bewegen. Aber dann kommen die vier Weihnachtsmänner angesaust und bringen etwas Leben in die Menge und Süßigkeiten für die Kinder. Danach ist allen kalt und die meisten, so auch uns, zieht es nach Hause.

Sonntagabend ist noch eine kleine Andacht in der Kirche. Der Kirchenchor singt, der Kinderchor auch, Kinder lesen Geschichten vor und Blockflöte und Gitarre dürfen auch nicht fehlen. Aber was das tollste ist: Ein Mädchen spielt mit seiner Blockflöte das Lied, was auch immer bei dem Scrooge-Hörspiel läuft. Somit fühle ich mich noch mehr zu Hause. Falls ihr das Hörspiel nicht kennt oder nicht wisst, welches Lied ich meine, hier ein Link:

http://www.youtube.com/watch?v=KR0mpehfzJ0

Dieses Lied hat den ersten Adventssonntag richtig schön abgerundet. Ich hoffe, ihr hattet auch einen schönen ersten Advent und ich wünsche euch allen eine ruhige und gemütliche Adventszeit, auch wenn ihr vielleicht noch gar nicht so im Weihnachtsfeeling seid wie ich. Hier wird das Ganze wirklich extrem betrieben und ich muss aufpassen, dass ich, wenn es dann endlich soweit ist, überhaupt noch Lust auf Weihnachten habe. Immerhin ist dieses Jahr die längstmögliche Adventszeit, die es überhaupt geben kann und ein Radiosender hier spielt jetzt schon den ganzen Tag Weihnachtslieder.
Ich habe schon zweimal „Last Christmas“ gehört. Na, dann kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen.


Den "Andere Zeiten"-Adventskalender habe ich auch, ich mag den gern.

O ja, ich finde, er trifft, im Gegensatz zu vielen anderen Adventskalendern, das eigentliche Ziel der Adventszeit: innere Vorbereitung auf das Fest mittels Denkanstößen, Geschickten, Gedichten und Bildern.
Heute wieder besonders schön: "Kann man Licht hören?"

Fand ich auch. Ich mochte auch die Geschichte von Tanja Dückers gestern sehr.