Sonntag, 13. 11. 2011
Ihr könnt euch glücklich schätzen, dass ich heute noch schreibe, denn eigentlich wäre mir danach, nur noch zu schlafen. Aber ich kenne mich ja und wenn ich es heute nicht mache, mache ich es morgen auch nicht und dann hab ich die Hälfte von dem, was ich erzählen will, schon wieder vergessen.
Das Wochenende war schön, aber auch anstrengend. Ich habe erneut festgestellt, dass ich nicht dafür gemacht bin, mit kleinen Kindern in einem Raum zu schlafen und ich habe das nicht vorhandene Pünktlichkeitsgefühl der Isländer am eigenen Leib erfahren. Aber der Reihe nach.

Am Freitag geht es meiner Meinung nach viel zu früh los. Eysteinn hat um 10 Uhr in Reykjavík ein Meeting, also fahren wir – Eysteinn, die Zwillinge, Jón und ich - um 7.15 Uhr los, heißt für mich: Noch früher als sonst aufstehen. In Reykjavík angekommen, holen uns Eysteinns Eltern ab und wir fahren weiter nach Keflavík. Ich kümmere mich hauptsächlich um die Zwillinge, das heißt: Mit ihnen spielen, mit ihnen rausgehen, ihnen was zu essen machen und den Kinderwagenmittagsschlafspaziergang machen. Schlafen tun sie nicht wirklich, dafür schiebe ich sie immerhin zwei geschlagene Stunden durch die Gegend. Die Großeltern, die sich um Jón kümmern, haben auch keine leicht Aufgabe: Erstmal fahren sie mit Jón einkaufen, denn natürlich muss er erstmal eine neue DvD kriegen, nachdem sie ihm schon neue Festtagsklamotten für Weihnachten gegeben haben. Er kommt zurück mit der neuen „Latibær“-DvD, die ich ihm eigentlich zu Weihnachten schenken wollte. Latibær, auch unter Lazy Town bekannt, ist eine isländische Kinderserie, in der Figuren mit knalligen Klamotten durch die Gegend hüpfen, springen und turnen, dabei viele fröhliche Lieder vor sich hin trällern und die Kinder dazu animieren sollen, sich mehr zu bewegen. In meinen Augen eine paradoxe Angelegenheit. Für eine DvD braucht man einen Fernseher, vor dem Fernseher steht die Couch, darauf lümmeln sich die Kiner, die diese DvD schauen und sich dabei kein Stück bewegen. Soviel habe ich jedenfalls bei Jón beobachten können. Aber mal ganz unter uns: Ich hätte auch keine Lust, zusammen mit diesen aufgesetzt fröhlichen und knallbunten Figuren durch die Gegend zu hüpfen. Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen will, hier das Titelthema der Serie: http://www.youtube.com/watch?v=Q7y5jCfNE4k

Jedenfalls, mit der neuen DvD ist Jón erstmal eine Weile beschäftigt, bis auch er dann etwas zu essen haben will. Die Zwillinge essen Toast mit Käse, er möchte Kaviar, das Einzige, was nicht ihm Haus ist. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Wir reden hier nicht von dem deutschen Begriff „Kaviar“, also keine sauteuren Fischeier. Nein, das was ich hier unter Kaviar kennengelernt habe, kommt aus der Tube, ist eine Art Fischcreme, sehr lecker, wenn man sich mal an den salzigen Geschmack gewöhnt hat, und in jedem Haushalt zu finden. Also fährt der Großvater nochmal los, um Kaviar zu kaufen. Als er zurück kommt, ist Jón zwar mit dem Kaviar zufrieden, aber das Brot sagt ihm nicht zu. Es ist Vollkorntoast und eben nicht komplett weiß und vielleicht ja sogar gesund. Jón mault rum, aber der Großvater fährt zum Glück nicht nochmal los, das hätte meine Verständnisgrenze echt gesprengt. Es endet damit, dass Jón beleidigt ist und gar nichts isst.
Ich persönlich habe für diesen Tag genug von den Kindern und eigentlich ist mein offizieller Sechs-Stunden-Arbeitstag – es hieß, von 10 Uhr bis 16 Uhr – auch schon längst vorbei, als wir dann um halb sechs wieder nach Reykjavík aufbrechen, nicht ohne einen Zwischenstopp im KFC, denn Eysteinn hätte seine Kinder gerne satt zurück. Also wird bestellt, aber als das Essen dann fertig ist, haben die Kinder schon längst festgestellt, dass die Rutsche doch viel interessanter ist als die Pommes. Ich muss mich echt zurückhalten, um diesen verwöhnten Kinder das Essen nicht vor die Füße zu pfeffern. Meine Geduld ist endgültig am Ende als Jón, nachdem er kaum einen Bissen von seinem geforderten Salat gegessen hat, für das letzte Stück Fahrt in die Stadt auch noch darauf besteht, hinten zwischen den Zwillingen zu sitzen, obwohl wir alle wissen, dass es damit endet, dass mindestens einer der Zwillinge spätestens nach fünf Minuten anfangen wird zu weinen, weil Jón es mit dem Ärgern mal wieder übertrieben hat. Ich beiße die Zähne zusammen und setze mich nach vorne. Wenig später heult Erna Steina, vergisst mal wieder fast, zu atmen und damit ist das Thema durch: Jón und ich wechseln die Plätze und ich strafe Jón mit Schweigen. Endlich im Apartment angekommen, habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, die übermüdeten, quengeligen und hungrigen Kindern ihren Eltern zu überlassen und mir einen schönen Abend mit Theresa zu machen.
Nach einigen Startschwierigkeiten – wir hätten vielleicht klären sollen, ob wir auch wirklich von derselben Hot Dog Bude reden als es um den Treffpunkt ging – finden wir uns dann um neun Uhr, essen einen Hot Dog und lassen uns durch die Stadt treiben. Es fängt an in einer kleinen Bar, wo wir Cola trinken, die wie Wasser schmeckt und uns köstlich über ein Schild amüsieren, auf dem wortwörtlich steht: „Private Party until 24.30h“. Weiter geht’s in einen Pub, wo es Guinness und die stadtbeste Suppe gibt. Wir belassen es bei einem Guinness und da wir beide nicht mehr an solche geballte Ladungen Alkohol gewohnt sind, wird das Leute beobachten von unserem Logenplatz am Fenster immer spaßiger. Zuletzt geht es in eine Bar mit Livemusik und einem sehr bequemen, aber auch sehr instabilen Sofa. Neben uns lassen sich zwei isländische Theaterstudentinnen nieder und wir kommen ins Gespräch. Wir reden über die extravagante isländische Mode mit Leopardenleggins und rotem Lippenstift, den Barkeeper, auf den sie aus unverständlichen Gründen stehen, Cheerleader und Frisuren. Außerdem verraten sie uns ein Geheimnis, das sie wirklich nur uns sagen und das wir niemals niemals weitersagen dürfen. Als ein paar Freunde von ihnen dazukommen, die sich sehr darüber amüsieren, dass wir freiwillig auf Snæfellsnes Au Pairs sind bzw. waren, taufen wir einen von ihnen kurzerhand Forrest Gump und lassen sie ziehen, als sie irgendwohin gehen, um ihren einzigartigen Plan, noch betrunkener zu werden, zu verwirklichen.

Am Samstag ist shoppen angesagt. Ich suche und finde Weihnachtsgeschenke für jedermann und Theresa sucht und findet zwei Paar Schuhe auf dem Flohmakrt, wunderbare Schuhe aus echtem Leder, die nur darauf gewartet haben, von ihr zu einem Spottpreis gekauft zu werden. Zwischendurch machen wir immer wieder Pausen in diversen Cafés, um uns von den vielen Schaufenster- und Menscheneindrücken zu erholen. Eigentlich hatten wir geplant, nach einer längeren Pause – ich soll von sechs bis acht auf die Kinder aufpassen – auch noch Samstagabend was zu machen, aber das hat leider nicht geklappt und das kam so: Eysteinn hatte mich Donnerstag gefragt, ob ich Samstagabend extra arbeiten kann, während sie mit ihren Freunden essen gehen. Klar, dachte ich, kein Problem, zwei Stunden und so früh, dann muss ich sie ja nicht ins Bett bringen. Als sie dann aufbrechen und mich mit vier Kindern und Pizza, Nammi und DvDs zurücklassen, heißt es dann, sie würden mich um acht anrufen, um mir die genaue Rückkehrzeit mitzuteilen und sie scheinen davon auszugehen, dass ich die Zwillinge probemlos ins Bett bringen kann. Ich noch nicht beunruhigt, ich kenne sie ja, und habe Theresa schon gesagt, dass sie sich eher auf neun oder zehn einstellen soll. Ich schaffe es dann auch irgendwie, dass die Zwillinge bereits schlafen als Eysteinn sich um halb neun meldet und ich erfahre, dass sie spontan von einem Freund nach Hause eingeladen wurden, sie aber so um zehn zurück sein würden. Ich frage mich nun, ob das wirklich so spontan war und sage, dass ich mich um halb elf dann gerne mit Theresa treffen würde. Kein Problem meint er, sie wären um zwanzig nach zehn dann da. Um halb elf rufe ich mal sicherheitshalber an, ich höre lautes Stimmengewirr, aber laut Eysteinn sind sie bereits auf dem Weg nach Hause. Als sie nach einer Viertelstunde immer noch nicht da bin, sage ich Theresa ab, denn sie muss Sonntag ganz früh raus und dann lassen wir das besser. Ich muss wohl nicht sagen, dass ich sauer und enttäuscht war und das lässt sich auch nicht so einfach mit der übergenauen Pünktlichkeit der Deutschen kleinreden. Irgendwann, als ich schon im Bett liege, kriege ich eine Sms, die sagt, dass sie immer noch auf der Party sind. Ich antworte, ich würde jetzt ohnehin zu Hause bleiben und wünsche ihnen noch viel Spaß. So gegen zwei höre ich, wie sie zurück kommen und als Margrét wenig später aufwacht und schreit und schreit und schreit muss ich ja schon sagen, ich gönne es ihnen fast. Hatte ich übrigens erwähnt, dass die Milch, die sie zum Einschlafen und zum Wieder-Einschlafen bekommen, schon am Anfang des Abends knapp war und nun vollends aufgebraucht ist? Dieses Problem überlasse ich getrost ihnen und ich drehe mich auch noch mehrmals wieder um, als die ersten Kinder um sieben Uhr endgültig aufwachen und den von der Nacht noch schwer geschädigten Eysteinn auf Trab halten. Sobald ich mich blicken lasse, legt Eysteinn sich wieder ins Bett und ich kann mich um drei sehr wache und überdrehte Kinder kümmern, die die ganze Bude auseinander genommen haben. Ich beseitige das gröbste Chaos, ziehe sie an und ab geht’s auf den Spielplatz. Erst, als wir wieder zurück kommen und Rakel auch wieder unter den Lebenden weilt, höre ich eine Entschuldigung. Das wurde aber auch mal Zeit.
Als Jón merkt, dass alle Sachen gepackt sind, schmeißt er sich auf den Boden und jammert, dass er nicht nach Hause will. Als ihm niemand groß Beachtung schenkt, fügt er dem Ganzen noch einen Hauch mehr Schwung, einem Hauch mehr Theatralik hinzu und knallt voll mit dem Kopf gegen die Tischkante. Jetzt geht das Geheule erst richtig los und ich bin einfach nur froh, als wir alle dann endlich gegen eins im Auto sitzen und alle binnen Minuten eingeschlafen sind. Nur Eysteinn nicht, das ist auch gut so, denn er fährt ja und auch ich, die sonst immer noch vor den Kindern weg ist, kann diesmal nicht im Auto schlafen, obwohl ich zwei mehr oder weniger durchwachte Nächte hinter mir habe. Dafür bin ich jetzt umso müder und mir bleibt nur noch zu sagen, dass ich mir dieses Wochenende in Anbetracht der Tatsache, dass mir ja freigestellt wurde, ob ich mit nach Reykjavík kommen möchte oder nicht, da sie nichts für die Abende geplant hatten, etwas anders vorgestellt hatte. Aber ich habe das Beste daraus gemacht und jetzt soll mir nochmal jemand sagen, ich sei nicht flexibel oder geduldig. Und immerhin weiß ich jetzt, dass aus zwei Stunden schnell mal vier, fünf oder sechs werden können.
Zum Schluss noch einen Band-Tipp: Pomplamoose. Sie interpretieren viele bekannte Songs auf eine ganz spezielle Weise, aber sie haben auch gute eigene Songs und die Videos sind auch nicht schlecht, wie man hier sehen kann:
http://www.youtube.com/watch?v=uHoXIQX7j1A

So, nun werde ich mich mal von der Kinder-Überdosis erholen, gute Nacht.