Mittwoch, 2.11.2011
So, Freunde, es gibt viel zu erzählen. Ich gehe wieder chronologisch und tageweise vor.

Mittwoch:
In ihrer Mittagspause setzen Rakel, Eysteinn und ich uns zu einem kurzen „Meeting“ zusammen, weil ich ja jetzt schon immerhin drei Monate hier bin. Als der Vorschlag am Morgen von Eysteinn kam, hab ich mir schon ein paar Gedanken gemacht, aber letztendlich ist alles halb so wild. Zwar hat Eysteinn eine auf den ersten Blick ellenlange, computergetippte Liste mit zig Tagesordnungspunkten dabei, aber dann ist doch ziemlich schnell alles gesagt. Anscheinend sind sie nur besorgt, dass ich meine dreißig Arbeitsstunden in der Woche nicht voll kriege und deshalb bin ich jetzt stolze Besitzerin eines Stundenplans. Zusätzlich zu der Wäsche, die ich ja schon übernommen habe, kümmere ich mich jetzt noch an den Abenden in der Woche, wo ich nicht beim Basketball bin, um den Abwasch. Kein Problem, ist ja schnell gemacht. Und sogar noch schneller in dem Wissen, dass ich dafür bezahlt werde.
Ansonsten kann ich ihnen natürlich jederzeit sagen, wenn mir etwas auf dem Herzen liegt, ja, sie würden sich sogar wünschen, dass ich mehr reden würde, da es besser ist, etwas direkt zu sagen, als alles in sich hinein zu fressen. Ich lächle viel, nicke noch mehr und das war's.

Am Nachmittag brechen Eysteinn, Jón, Sóley, die Zwillinge und ich in Richtung Keflavík auf. Ich werde zwischen die Zwillinge ganz nach hinten auf die Rückbank verbannt, damit sie gar nicht auf die Idee kommen, Eysteinns Hand halten zu wollen. Jón macht natürlich Theater, weil er zwischen ihnen sitzen will, aber er ist bald eingeschlafen. Die Zwillinge geben sich auch mit meiner Hand zufrieden und driften kurz darauf ebenfalls ab ins Land der Träume. Endlich Ruhe im Auto. Wir setzen Sóley in einer Einrichtung in Reykjavík ab und bald darauf sind wir schon da. Das war ja mal ne entspannte Fahrt – so geht’s also auch.
Die Großeltern erwarten uns mit dem Abendessen, danach passiert nicht mehr viel. Die Zwillinge werden spät ins Bett gesteckt, weil sie ja im Auto viel geschlafen haben. Ich schlafe wieder mit Margrét in einem Zimmer. Besser als beim letzten Mal, aber immer noch nicht so prickelnd.

Donnerstag:
Rund-um-die-Uhr-Entertainerin für die Kinder. Bin öfters mit ihnen alleine, weil Eysteinn seine Eltern zum Flughafen fährt oder Einkaufen. Finde aber auch Zeit, Schwimmen zu gehen im fast menschenleeren Schwimmbad. Laut Eysteinn wissen die Bürger in Keflavík es anscheinend gar nicht zu schätzen, dass sie so einen phänomenalen Pool vor der Haustür haben. Das Schwimmbad wird hauptsächlich von Steuern finanziert, also ist der Eintritt nur 350 ISK, ich finds super und genieße.
Am Nachmittag gehen wir alle auf den Spielplatz, um Fußball zu spielen. Ich fühle mich schon fast wie ne Vollzeitmutter, aber zum Glück kommt Rakel ja spät am Abend mit Íris nach, sodass ich nun auch wieder in einem eigenen Zimmer schlafen kann.

Freitag:
Ab und zu Kinderdienst, aber auch viel Zeit für mich. War ich schwimmen? Glaub schon. Dann laufe ich noch etwas durchs Städtchen, aber nicht so lange, da es draußen kalt und windig und ungemütlich ist. Ich stelle fest, dass es in Keflavík fast so viele Friseursalons gibt wie in Wipperfürth, wenn nicht sogar noch mehr. Ansonsten ist nicht sehr viel los und ich verstehe nicht wirklich, was Eysteinn und Rakel so an diesen Ort zurückzieht. Natürlich, es ist schon schade, dass es in Ólafsvík nur ein Indoor-Schwimmbad gibt, aber die Landschaft hier ist um einiges schöner, finde ich. Aber das ist ja nur meine bescheidene Meinung.
Abends wollen Rakel und Eysteinn eigentlich ins Kino, ich hätte es ihnen auch gerne ermöglicht, aber Erna Steina offensichtlich nicht. Während der Rest der Familie zu einem Basketballspiel geht, soll ich die Zwillinge ins Bett stecken. Mit Margrét ist es kein Problem, aber sobald Erna Steina auch nur in Sichtweite des Bettes kommt, schreit sie das ganze Haus zusammen. Also ist sie noch wach, als sie wiedergekommen, kann man nichts machen. Erstmal gibt es Nammi für alle, danach bringt Eysteinn sie nullkommanix und ohne größere Schwierigkeiten ins Bett. Na super, jetzt hat Erna Steina vermutlich abgespeichert, wie sie mit mir umspringen muss und denkt obendrauf wahrscheinlich noch, dass es immer ein großes Wiedersehen und Süßigkeiten gibt, wenn sie nur lange genug wachbleibt.

Samstag:
Endlich mal nicht schon um Acht oder früher mit den Kindern aufstehen, sondern dann, wann ich will, also spät. Als ich gerade mit dem Frühstück fertig bin, kommt Rakels Vater, um mit Jón und Íris erst nach Reykjavík ins Kino zu fahren und später noch schwimmen. Ich fahre mit, aber statt ins Kino gehe ich ins Einkaufszentrum. Als der Film zu Ende ist bin ich um eine neue Jeans und zwei Oberteile reicher und mein Portemonnaie um einiges leerer.
Wenn ich bisher dachte, das Schwimmbad in Keflavík sei Luxus, dann kannte ich aber das, wo wir jetzt hingehen noch nicht. Es gibt einen großen Indoorbereich – uninteressant, außer für die Sportschwimmer, die dort trainieren – und einen noch größeren Outdoorbereich mit unzähligen Hot Tubs, in einigen schwimmen sogar Schaumstoff-Schachbretter, falls man im warmen Wasser mal Lust auf eine Partie bekommen sollte. Dann noch ein großes Spiel- und Spaßbecken und eine Tunnelrutsche. Nur gut, dass Jón und Íris gar nicht genug vom Rutschen bekommen können, habe ich wenigstens eine Ausrede, warum ich immer und immer wieder rutschen muss.

Sonntag:
Die Party für die Zwillinge, obwohl ihr eigentlicher Geburtstag erst morgen ist. Lasst es mich kurz halten: Viel Essen, klebriger Kuchen, herzhafte Suppe, viel mehr Erwachsene als Kinder, viel Gesprächsstoff. Zu der Suppe muss allerdings gesagt werden, dass Rakel die gleiche Suppe auch schon auf der letzten Geburtstagsparty gekocht hat. Ist das zu fassen? Zweimal dieselbe Suppe? Also das war echt ein Punkt, wo ich mich mir beinah ne andere Familie gesucht hätte.
Am Ende des Tages kann ich mich kaum noch bewegen. Trotzdem, als Rakel dann abends, als die Gäste weg sind, doch noch Hot Dogs macht, falls jemand nicht satt geworden sein sollte, sage ich natürlich nicht nein und unterbreche sogar das allabendliche Puzzeln mit Jón. Ja, Jón und ich puzzeln in Keflavík, was das Zeug hält. Ohnehin verstehen wir uns im Moment ziemlich gut. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich ab und zu mal dazu setze, wenn er am PC nervtötende Spiele spielt. An diesem verlängerten Wochenende haben wir jeden Abend ca. drei Puzzles gemacht, besser als vorm Computer hängen ist es allemal.

Montag:
Bevor Sóley mittags nach Hause kommt genieße ich den Luxus, mir vom deutschen Fernsehen die Sinne vernebeln zu lassen. Dann kann ich mich endlich wieder um den ruhigen Pol in der Familie kümmern. Abends sind wir bei Rakels Eltern zum Essen eingeladen – sehr lecker, wie alles hier. Während Íris und Jón unbedingt um die Häuser ziehen und Süßigkeiten abstauben wollen und die Eltern sie nicht alleine gehen lassen wollen, also mit dem Auto inklusive Zwillingen hinterher fahren, bringe ich Sóley ganz gemütlich ins Bett und kriege noch die zweite Hälfte von „Mitten ins Herz – ein Song für dich“ mit. Schön. Pop goes my heart.

Dienstag:
Früh aufstehen, alle außer Sóley, Eysteinn und mir werden bei Rakels Eltern zwischengelagert. Eysteinn packt die Autos voll, ich sauge, wische, staube ab. Dann gibt’s noch für jeden nen Hot Dog und los geht die Heimfahrt. Ich fahre mit Sóley und dem Großteil des Gepäcks in dem kleinen Auto schonmal vor, während der Rest noch den Lebensmitteleinkauf erledigt. Es ist verdammt windig und nicht sehr angenehm zu fahren. Ich komme an gefrorenen Seen vorbei und an der ein oder anderen Stelle in den Bergen finden sich auch kleine Schneeverwehungen auf der Straße. Bin jedenfalls froh zu wissen, dass die Winterreifen schon drauf sind und erleichert, als ich heil zu Hause angekommen bin. Diesmal gibt es KFC-Salat mit Hühnchen.

Mittwoch - heute:
Heute war endlich wieder Basketball. Allerdings schon um 18 Uhr, wie wir erst kurz vorher erfahren und dann doch etwas in Stress kommen. Wir trainieren ausnahmsweise mit den Jungs zusammen und vorbei ist es mit dem friedlichen Spielen nur um des Spaßes willen. Ihr könnt froh sein, dass ich das alles hier überhaupt noch schreiben kann, denn mein linker Zeigefinger ist ziemlich lädiert, wird schon wieder.
Premiere: Heute habe ich zum ersten Mal in Island Schwein gegessen. Eysteinn hatte heute auf der Arbeit anscheinend ein Meeting mit Essen aus dem Restaurant und hat uns dann die Reste mitgebracht. Obwohl Schwein hier in der Familie sonst eher verpönt wird, war es wirklich lecker und um Längen besser als alles, was ich jemals in Deutschland gegessen habe. Habe heute nicht alles geschafft, also freu ich mich schon auf morgen. Und nicht zum ersten Mal schließe ich einen Eintrag mit einer ausführlichen Essensbeschreibung. Dazu gab es übrigens Kartoffelplätzchen.